Schwarzbuch ÖBB
muss.
Die ÖBB erklären, dass Gleise für den Wechselbetrieb keine höheren Geschwindigkeiten erfordern, weil sie nur in Ausnahmefällen notwendig sind. Diese Behauptung führt in die Irre. Beispielsweise muss der Schnellzug von Prag nach Wiener Neustadt und retour in Wiener Neustadt routinemäßig bei der Ein- und Ausfahrt über eine 40 km/h-Weiche fahren.
Langsamer als erlaubt
Am Bahnhof Wien Praterstern passieren wir bei der Ausfahrt eine Weiche, die für 100 km/h gebaut wurde – hier dürfen wir allerdings nur 80 fahren. Warum? Vermutlich deshalb, weil die ÖBB -Infrastruktur, die diese Strecke gebaut hat, auch für die Instandhaltung zuständig ist. Und wenn man nur 80 anstatt 100 fährt, wird die Weiche weniger abgenutzt, und die Instandhaltung kommt langfristig billiger. Und warum wurde dann eine Weiche für 100 km/h gebaut? – »Das«, erklärt Friedrich Z. , »wissen wohl nur Eingeweihte, und die behalten die Antwort für sich.«
Jedenfalls sammeln wir aufgrund der Streckenverhältnisse bereits auf den ersten sechs Kilometern sechs Minuten Verspätung an. Wenn wir so schnell fahren dürften, wie es die Anlage der Strecke erlaubt – bis zu 160 km/h –, wäre es kein Problem, das in kürzester Zeit wieder aufzuholen.
Deutsch-Wagram heute
Deutsch-Wagram, der Ausgangspunkt der österreichischen Eisenbahn, ist heute eine heruntergekommene Haltestelle ohne Glanz und ohne Gloria. Alles wirkt wie ein Provisorium. Selbst die Schienen flattern hier im Bahnhofsbereich unruhig hin und her. Es ist schwer, festzustellen, wo der Bahnhofsbereich beginnt und wo er endet. Von der glorreichen Vergangenheit ist nichts mehr zu sehen.
Also nichts wie weg hier, um die verlorene Zeit aufzuholen! Das geht aber leider nicht so schnell wie gewünscht, denn bei der Ausfahrt werden wir durch eine kurze Weiche gebremst, die nur eine Geschwindigkeit von 50 km/h erlaubt.
Immer schön langsam
Das scheint das heimliche Motto der ÖBB zu sein. Nach etwa 22 gefahrenen Kilometern müssen wir ohne vorherige Verständigung auf offener Strecke anhalten. Ein vor uns haltender Zug zwingt uns zu einem Zwischenstopp.
Danach kommen wir auf eine etwa acht Kilometer lange Strecke, auf der 1986 zu Versuchszwecken bereits 240 km/h gefahren wurden. Mit einigen flankierenden Maßnahmen wären heute im Planbetrieb ohne weiteres 160 km/h möglich. Aber die ÖBB -Infrastruktur AG will es nicht, und so dümpeln wir mit 120 km/h dahin. Die ÖBB erklären dazu, die Geschwindigkeit sei aus technischen Gründen begrenzt. Ein Ausbau auf 160 km/h sei im Zielnetz 2025 vorgesehen.
Ein »neues« Sicherheitssystem für die Bahn
Bei Kilometer 40 nördlich von Wien könnten wir wieder problemlos mit 160 km/h fahren, müssen uns aber erneut auf 120 beschränken. Auf diesem Streckenteil wurde bereits mit der Ausrüstung für das neue »European Train Control System 2« (ETCS 2 ) begonnen. Es handelt sich um ein EU -Projekt mit dem Ziel, die Eisenbahnen aller europäischen Länder mit demselben Sicherheitssystem auszustatten.
Das läuft unter dem Brüsseler Zauberwort »Interoperabilität«. Damit soll sichergestellt werden, dass es in Europa für die Bahn keine technischen Grenzen mehr gibt. Züge aus Ungarn sollen ohne Lokomotivenwechsel bis nach Spanien oder Portugal fahren können, Züge aus Berlin bis Süditalien oder Slowenien. So etwas würde den Fernverkehr zweifellos vereinfachen, denn bis jetzt verwendet jedes EU -Land seine eigene Sicherheitstechnik.
Bis jetzt ist das aber nicht mehr als ein großer Plan.
Welches System?
Die entscheidenden Frage bei der Umsetzung neuer Ideen lautet immer: Ist das geplante System schon ausgereift? Und wer bezahlt das? Weil kein einziges europäisches Land für die »Interoperabilität« der Bahnsicherheit Geld ausgeben will, stellt die EU für den Probebetrieb Förderungen in der Höhe von fünfzig Prozent in Aussicht. In Österreich wirkt so etwas immer verlockend, und so begannen die ÖBB ab 1998 auf einer ausgewählten Strecke und mit einigen Lokomotiven das vielgepriesene Zugsicherungssystem ETCS 1 zu installieren.
Da bei der EU zwischen Planung und Ausführung immer viele Jahre vergehen, stellte sich irgendwann heraus, dass das neue, technisch unausgereifte System für bestimmte Strecken ungeeignet ist. Was nun? Sollte man alles stoppen und zugeben, aufs falsche Pferd gesetzt und viele Millionen unnötig verbraten zu haben?
Mittlerweile hatte die EU erkannt, dass die erhoffte »Interoperabilität« nicht die
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