Schwarzbuch ÖBB
Waschen von Loks und zum Mistsammeln eingeteilt. Dass man ihn bei der Prüfung zur Zulassung als Lokführer zweimal durchfallen ließ, empfand er als Mobbing. Trotzdem ließ er sich nicht kleinkriegen, und nach dem dritten Versuch erlaubte man ihm endlich wieder, als Lokführer zu arbeiten.
Am Ziel
Unseren Zielbahnhof Bernhardsthal erreichen wir mit fünf Minuten Verspätung. Auch hier werden wir wegen einer sehr kurzen Weiche gezwungen, unsere Fahrt drastisch zu verlangsamen. Für die Rückfahrt nach Wien verlassen wir den Steuerwagen und begeben uns zur Lokomotive ans andere Ende des Zuges. Und können erst mit zehn Minuten Verspätung abfahren.
Bei Kilometer 55 zeigt uns ein Signal am Oberleitungsmast, dass wir hier 140 km/h fahren dürfen. Im »Buchfahrplan« steht aber die Zahl 120, also müssen wir die Geschwindigkeit auf 120 km/h verringern. Warum? Der Lokführer weiß es nicht. Wir haben es hier mit einer sogenannten Langsamfahrstelle zu tun – einer österreichischen Spezialität.
Der Rechnungshof kritisiert
Vor einigen Jahren gab es derart viele Langsamfahrstellen und daraus folgend Zugverspätungen, dass 2009 der Rechnungshof eingeschaltet wurde. Die Prüfer notierten 320 derartige Hindernisse. Als Ursache wurden meist technische Gründe angegeben, etwa Gleisschäden. Die für die Instandhaltung verantwortliche ÖBB -Infrastruktur AG ist laut Gesetz verpflichtet, solche Schäden rasch zu beheben. Tatsächlich war es aber so, dass sich dieses Unternehmen für Reparaturen oft viel zu viel Zeit ließ.
Unser Lokführer erklärt mir, in der Praxis sei es so, dass Schäden oft wochenlang nicht behoben werden. Es komme sogar vor, dass angeordnete Reparaturen zwar als erledigt vermerkt, aber gar nicht durchgeführt werden. Dann wird die Langsamfahrstelle zeitlich halt verlängert.
Der Rechnungshof wird hinters Licht geführt
Nach der Kritik des Rechnungshofes an der hohen Zahl von Langsamfahrstellen besserte sich die Situation. In einer Nachkontrolle im Jahr 2012 war die offizielle Zahl um mehr als die Hälfte auf 152 zurückgegangen. Wie das? Unser Lokführer erklärt mir, welche Möglichkeiten die ÖBB hat, um die offizielle Statistik zu verbessern.
Trick eins
Immer schon, auch 2009, als der erste Rechnungshofbericht erschien, erhielt jeder Lokführer alle zwei Wochen eine aktualisierte Broschüre »La«, in der die Langsamfahrstellen seines Streckenbereichs verzeichnet waren. Unser Lokführer hat den Eindruck, dass seit Erscheinen des Rechnungshofberichts Langsamfahrstellen vermehrt nicht mehr in dieser Broschüre aufscheinen, sondern den Lokführern in Form von einzelnen »Befehlen« am Bahnsteig übergeben werden – oft über Tage und Wochen hinweg.
Die ÖBB erklärten Anfang Juli 2013, die Anzahl dieser »Befehle« bewege sich »in einem üblichen Rahmen«. Laut unseren Informationen erhält ein Lokführer pro Monat im Durchschnitt etwa ein Dutzend »Befehle«. Multipliziert man das mit der Anzahl der ÖBB -Lokführer – mehr als 4000 –, ergibt das eine Zahl von etwa 50.000 »Befehlen«, welche die ÖBB pro Monat austeilen. Ein üblicher Rahmen?
Trick zwei
Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der Statistik besteht darin, Langsamfahrstellen aus den »La«-Broschüren zu streichen und im »Buchfahrplan« der Lokführer als verminderte Geschwindigkeiten vorzuschreiben. Derartige Langsamfahrstellen bleiben oft jahrelang bestehen. Ein Beispiel:
In Himberg im Süden Wiens ereignete sich 2003 ein Unfall, bei dem dreizehn Kesselwaggons entgleisten und 400.000 Liter hochexplosives Methanol in den Untergrund austraten. Nach den Aufräumarbeiten wurde dies eine Langsamfahrstelle mit 80 statt 140 km/h, die auch in der »La«-Broschüre verzeichnet war – bis zum Erscheinen des Rechnungshofberichts im Jahr 2009. Dann wurde sie aus der Broschüre gestrichen und stattdessen in den »Buchfahrplan« für den Lokführer aufgenommen. Die Folge davon ist, dass die Langsamfahrstelle zwar immer noch existiert, jetzt aber nicht mehr in der Statistik aufscheint.
Auf Anfrage teilten die ÖBB mit, dass es am 1. Juni 2013 nur noch 57 Langsamfahrstellen gab, mit weiter fallender Tendenz. Diese Zahl ist mit Sicherheit falsch. Zählt man in den von den Lokführern benutzen Unterlagen alle Langsamfahrstellen in Österreich zusammen, kommt man für den 1. Juni 2013 auf eine Zahl von 240 – das sind mehr als viermal so viele! Gibt es bei den ÖBB offizielle Zahlen für die Öffentlichkeit und echte Zahlen, die man
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