Schwarze Blüte, sanfter Tod
der Redaktion weitergeführt werden, im Sinne des Ermordeten. Das war schon immer so geplant gewesen, für einen bösen Zufall. Alle zusammen würden sie die groÃe Aufgabe meistern, sein Vermächtnis zu erfüllen ...
Ich deutete an, daà meine Fragen beantwortet wären, indem ich mich aus dem unbequemen Sessel erhob, in den sie mich komplimentiert hatte. Mehr war hier wohl nicht zu erfahren, und wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich auch erst einmal genügend Stoff zum Nachdenken. Vor allem über meinen Eindruck von der Frau, der in das Gesamtbild einsortiert werden wollte.
Sie erkundigte sich: »Sehen Sie Mister Yueh Lo-tsin in der nächsten Zeit?«
Täuschte ich mich, oder klang das ironisch? Ich gab vorsichtig zurück: »Sehr gut möglich. Darf ich mich bedanken ...«
Sie entlieà mich mit der Geste einer regierenden Königin. Aber ich wurde den Verdacht nicht los, daà sie sich insgeheim über mich amüsierte. Kein sehr glücklicher Anfang ...
Beinahe hätte ich, in Gedanken versunken, Mrs. Tu übersehen, die Fernschreiberin. Sie stand etwas abseits vom Eingang, als ich auf die StraÃe trat, und sie winkte mir im Stil einer Verschwörerin zu. Ging voraus, sich gelegentlich vergewissernd, daà ich ihr folgte.
Im Kanton Tea Shop, einer der Kneipen, denen der Taifun offenbar nicht geschadet hatte, fanden wir einen Tisch, der noch nicht von einem alten Herrn mit Vogelkäfig belegt war. Es war die Zeit des Tages, zu der die Veteranen ihre gefiederten Lieblinge zu einem Lü Cha mitnahmen und ihnen ein unterwegs erstandenes Salatblatt spendierten.
Uns gegenüber saà einer jener alten Hongkonger, dessen Kinn ein weiÃes Bärtchen zierte, und den man sich gar nicht anders vorstellen konnte als mit einem Vogelbauer in einem Teehaus sitzend, höchstens vielleicht noch am frühen Morgen, wenn der Dunst vom Wasser hereinwaberte, auf irgendeinem Grasflecken beim Taidji, das die Engländer aus unerfindlichen Gründen immer Schattenboxen genannt hatten.
Er hatte in seinem Käfig einen Goldfinken, der zuweilen schrille und doch wohltönende Piepser von sich gab, worauf der alte Herr ihm jeweils einen Krümel von seinen Bisquits auf dem ausgestreckten Zeigefinger hinhielt, den der Vogel dann geschickt aufpickte.
Ich besah mir Mrs. Tu etwas genauer, und entdeckte, daà sie zwar keine schreiende Modeschönheit war, sie glich auch nicht unserer letzten Kinoqueen Gong Li, aber sie war eine ansehnliche und gepflegte Frau.
»Lü Cha und Bisquits?« erkundigte ich mich mit dem Versuch, galant zu sein.
Sie entschied sich für Hung Cha, was roter Tee ist, fermentierter, für die Ausländer schwarzer. Das Gebäck verschmähte sie nicht.
Eine Weile unterhielten wir uns über den Regensturm, den wir glücklich hinter uns gebracht hatten, obwohl in den StraÃen noch überall fuÃhoch Wasser stand, und obwohl abgeknickte Ãste, herabgerissene Dachziegel und Reste von Oberleitungen herumlagen, die von der Kraft der Elemente zeugten. Und wir sprachen ein paar Worte über die hinter uns liegenden Feiern zur Ãbergabe Hongkongs an das Mutterland, wobei ich den Eindruck hatte, daà der Akt sie nicht sonderlich bewegte. Sie bestätigte mir das, indem sie mir eingestand: »Mister Lim Tok, was würde es ändern, wenn ich dagegen gewesen wäre? Nichts! Solche Entscheidungen werden nie den kleinen Leuten vorgelegt, weder in einer Kolonie noch etwa in England. Ganz zu schweigen vom Mutterland China! Also stelle ich mich darauf ein, wie die meisten anderen auch, und lasse mich durch das überraschen, was da kommt ...« Sie charakterisierte damit, wie ich glaube, die Denkweise des gröÃten Teils der Hongkonger. Ausgenommen diejenigen, die aus politischen Glaubensgründen von der Vereinigung entscheidende Nachteile für sich erwarteten.
Als ich sie darauf aufmerksam machte, daà zu dieser Kategorie eventuell die Angestellten einer Zeitung gehören könnten, die seit Jahrzehnten das Mutterland gekonnt attackierte, lieà sie das einigermaÃen kalt.
»Was sollâs? Möglicherweise müssen wir schlieÃen. Ich habe einen sehr guten Freund, der betreibt ein Rechtsanwaltsbüro â er nimmt mich jederzeit als Angestellte ...«
Das Mädchen in dem für Kellnerinnen hier üblichen Minirock servierte uns Tee und Gebäck und lächelte dabei wie jemand, der beim
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