Schwarze Blüte, sanfter Tod
modernistischen Zeichen des sogenannten Fortschritts, der auch vor Wanchai nicht Halt machte, solche etwas verwunschen erscheinenden Relikte wie das Hibiskus meiner Mutter langsam zu Raritäten wurden, zu folkloristischen Sehenswürdigkeiten, in denen Touristen viel lieber ihre Huntunsuppe aÃen, als in den wohltemperierten Eishallen der Luxushotels.
»Mià Li!« jubelte dann, als wir gegen Abend in der Fenwick Street ankamen, wo wir auch keine besonderen Anzeichen des neuen chinesischen Zeitalters entdeckt hatten, der Bartender meiner Mutter, der nicht mehr ganz jugendfrische Yen, als er Pipi sah.
Ich erinnerte ihn dezent daran, daà es auch mich noch gab, und er grinste unverschämt, wie man das bei ihm gewohnt war. Hinter der Theke hing immer noch das verblichene Foto des amerikanischen Marinepiloten, der mein Vater gewesen war, und durch die dicht stehenden Tische, an denen eine Gruppe europäischer Touristen gerade erbärmlich ungeübt Riesenkrabben knackte, quetschte sich meine Mutter heran, die Pipi einfach umarmte und mich, der ich â beladen mit der Fracht eines Lastendreirads â dastand, unbeachtet warten lieÃ, bis sie das neueste aus dem Leben meiner Freundin erfahren hatte. Erst dann streckte sie die Hand nach mir aus und stellte fest, daà ich im Gesicht etwas dicker aussah als früher.
Der Rest des Tages verging im Fluge, und als wir ziemlich spät in der Neonwelt von Aberdeen ankamen, waren wir nicht nur müde, wir hatten auch noch den köstlichen Geschmack von Riesenkrabben auf der Zunge und im übrigen das Gefühl, egal was Mister Tung, unser neuer Regierungschef, und seine Stellvertreterin, Mrs. Chan, uns an Neuigkeiten bringen würden, so schnell würde sich in Hongkong das nicht verlieren, was Hongkong ausmachte.
Als hätte es einer Bestätigung bedurft, hörte ich, als wir schon nach einem Wassertaxi Ausschau hielten, plötzlich die plärrende Stimme Lums, des kleinen StraÃengauners, der eigentlich noch in die Schule gehört hätte, der aber heute aus seinem Bauchladen »Souvenirs von historischem Wert« anpries: »Hemden aus dem Kleiderschrank des ehemaligen Hongkong-Gouverneurs Patten, mit Monogramm, eingestickt! Slips und Büstenhalter aus dem gleichen Haus, die Unterhose des britischen Gentlemans, garantiert getragen, aber ungewaschen, dazu der Kamm, mit dem sich der Londoner Aufseher ihrer Majestät noch seine silbergraue Mähne geordnet hat, bevor er zum Ãbergabeakt ging, und â blattweise sein vierlagiges Toilettenpapier, mit dem er unsere ohnehin überlastete Kanalisation strapazierte, ebenfalls mit Monogramm! Unbenutzt oder benutzt, ganz nach Wunsch ...«
Ich griff mir eins seiner Löffelohren und drehte leicht daran. Als er mich erkannte, grinste er unwiderstehlich, und als ich mich über den groÃen Vorrat in seinem Bauchladen amüsierte, verriet er mir leise: »Sie machen das Zeug drüben in der Cameron Street, in der Nähstube. Die Stickerei ist immerhin echte Handarbeit!«
»Wie ist das Geschäft?«
Er sagte: »Die Unterhosen gehen am besten. Ãbrigens â morgen fange ich an, Pennystücke anzubieten, mit der Queen. Briefmarken auch. Und dann kommt noch ein Satz benutzter Taschentücher vom Thronfolger Charles ...«
Der Junge erschien mir immer wie die Seele Hongkongs. Nicht unterzukriegen. Wann würde er die Windeln von Mao Tse-tung unter die Leute bringen? Es konnte sich nur noch um Wochen handeln ...
Die Nacht wurde unruhig.
Zuerst fing es an zu regnen. Das konnte uns nicht viel anhaben, denn wir hatten alle Luken und die Aufgänge wasserdicht gemacht, vorsichtshalber. Nur als dann der Sturm in die Bucht hineinfauchte, als er die Wellen hochpeitschte und selbst unsere schwerfällige Dschunke zu tanzen begann wie ein Pony unter einem zu schweren Reiter, da war es mit dem Schlaf vorbei.
Wir hatten Glück und erwischten am Morgen ein Wassertaxi, das uns zwar völlig durchnäÃt, aber immerhin mit nur einer halben Stunde Verspätung an Land brachte, wo wir in meinem Büro in der Cameron Street mit Hilfe des Untermieters Wu, der sich immer noch in Bewährungshilfe versuchte, vor einem Warmluftventilator Pipis Kleidung trockneten, worauf sie sich dann mit einem Taxi todesmutig auf den Weg zum Excelsior machte.
Ich selbst begann, nachdem auch mein Anzug genügend Warmluft abbekommen hatte, um mir nicht mehr an der Haut zu kleben,
Weitere Kostenlose Bücher