Schwarze Blüte, sanfter Tod
Nach einer zu langen Pause gelang es ihr schlieÃlich, Beiläufigkeit in ihren Tonfall zu legen, als sie bemerkte: »Soso, Mister Yueh Lo-tsin ...«
»Derselbige, ja.« Ganz so lax wie ich das sagte, war mir nicht zumute, ich hatte das Gefühl, daà da irgendwas nicht stimmte. Nur was?
»Wie geht es ihm?« Sie hatte sich wieder gefangen. Aber in mir bohrte der Gedanke, daà die Idee mit dem Antiquitätenhändler möglicherweise nicht einer meiner besten Einfälle gewesen war.
Vorsichtig sagte ich: »Nun ja, er bringt sozusagen die alten Götter in neue Häuser. Die Europäer sind sehr an echten Dingen aus unserer Frühzeit interessiert, und â es zahlt sich aus, damit zu handeln ...!«
Ihr Lächeln hätte ein obdachloses Taifunopfer, von denen es nun wieder einige Tausend gab, zum Verzicht auf seine Versicherungsentschädigung bringen können. Oder einen Politiker zum Rücktritt bei gesicherter Pension. Mich warnte es. Ich brachte die Rede ziemlich abrupt auf ein anderes Gebiet, indem ich demonstrativ auf die Uhr sah und sagte: »Mià Tsao, ich habe eigentlich nur ein paar kurze Fragen, weil ich gleich zur Polizei muÃ, um mir die Erlaubnis zum Betreten der Wohnung des Ermordeten zu holen, und den Schlüssel, der sicher amtlich verwahrt wird, deshalb ...«
Das Lächeln rià nicht ab. »Die Wohnung ist nicht versiegelt. Und betreten können Sie sie auch mit meiner Erlaubnis. Wollen wir hinauf fahren?«
Um es gleich zu erwähnen â der Slip war nicht mehr da. Ich verkniff mir mit viel Mühe einen Hinweis darauf. Und Alma Tsao wurde so schnell offensiv, daà ich das Stück Unterwäsche ohnehin bald vergaÃ, ich registrierte nur den Fakt, daà sie in der Zwischenzeit hier oben gewesen war.
»Wahrscheinlich vermuten Sie ohnehin, daà ich für Mister Yueh mehr war als nur eine Angestellte«, eröffnete sie mir mit einem umwerfenden Augenaufschlag. »Um das von Anfang an richtig darzustellen â wir waren privat befreundet. Reicht das als Schilderung des Sachverhalts?«
Ich gab todernst zurück: »Es wird meine Arbeit enorm erleichtern, Mià Tsao. Und ich danke Ihnen für die Bereitschaft, mir zu helfen. Auch für das Vertrauen, das Sie in mich setzen. Ich glaube, in Anbetracht Ihrer persönlichen Freundschaft zu Mister Yueh muà ich endlich etwas nachholen, das ich bisher glatt vergaÃ: ich versichere Sie meines Mitgefühls zu dem Verlust ...«
»Danke. Was für Fragen haben Sie denn?«
Die Frau war von der knallharten Sorte. Was man ihr keinesfalls ansah, denn ihr Lächeln blieb. Ich folgte ihrer indirekt angedeuteten Absicht, das Gespräch abzukürzen, und erkundigte mich, welchen Eindruck sie von Mister Yueh gehabt hatte, als sie ihn zum letzten Mal sah. Ob ihn besondere Sorgen geplagt hätten, Krankheiten vielleicht, finanzielle Probleme. Ob es Besucher gegeben habe, die ihn bedroht hätten.
Sie habe ihn am Nachmittag zum letzten Mal gesehen, erzählte sie bereitwillig. Mister Yueh sei guter Dinge gewesen, wie immer. Man habe sich in guter Laune getrennt. Sie sei mit ihrer Mutter ausgegangen, um etwas von den Festlichkeiten zu sehen. Als sie am nächsten Tag hier ankam, habe sie den Toten entdeckt und sofort die Polizei benachrichtigt.
»Das muà sehr früh gewesen sein ...?«
Sie bestätigte das. »Drei Uhr. Die Stadt feierte noch. Wir erscheinen vormittags, das erfordert diesen ungewöhnlich zeitigen Arbeitsbeginn.«
Nein, Mister Yueh hatte weder Besuch gehabt, noch hatte er telefonische Drohungen erhalten, er habe damit gerechnet, daà er seine Zeitung auch nach der Eingemeindung Hongkongs ins Mutterland weiterführen könne. Wenngleich die Diktion etwas zurückgenommen werden müÃte, um den neuen Gesetzen zu entsprechen.
»Verständlich.« Ich nickte. »Wenn ich Sie recht verstehe, hat es keinerlei Konflikte gegeben, in die Mister Yueh verwickelt gewesen sein könnte, keine Drohungen, nichts in dieser Art ...?«
»Nichts«, bestätigte sie. Sie sprach so sachlich, als führten wir ein Gespräch über Methoden der Schadensbegrenzung bei einem Taifun, wie wir ihn gerade gehabt hatten, nicht über einen immerhin geliebten Toten.
Wenn diese Frau nicht kalt wie ein Fisch war, dann verstand sie es meisterhaft, ihre Trauer zu verbergen. Hinter einem dauerhaften Lächeln. Ja, die Zeitung würde von
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