Schwarze Blüte, sanfter Tod
einer schmetterte eine Arie, die sich seltsam dünn anhörte, ohne die Begleitung der Fiedeln und Gongs. Eine junge Dame lief auf Händen im Kreis. Sie muÃte mich entdeckt haben, denn sie tappte auf mich zu, schwang sich elegant auf die FüÃe und fragte mich etwas atemlos: »Sind Sie von der Zeitung?«
Das war ich nicht, also sagte ich es ihr. Sie hatte ein schönes Gesicht. Ihr Haar war für meinen Geschmack etwas kurz geschnitten, aber sie würde ohnehin, wenn sie auftrat, eine Perücke tragen, und überdies würde das Gesicht von einer fingerdicken Maske bedeckt sein. Unter ihren Achseln zeichneten sich in dem dünnen Trikot, das sie trug, SchweiÃflecken ab.
»Es war immer mein sehnlichster Wunsch, zur Zeitung zu gehen, als ich noch ein Kind war«, gestand ich ihr, wobei ich mir Mühe gab, weder zu grinsen noch übermäÃig höflich zu erscheinen. »Leider habe ich es nicht geschafft.«
Sie machte mäÃig interessiert: »Aha!« Musterte mich. Ãberlegte wohl, ob sie mich bedauern sollte. Wartete, daà ich etwas sagte.
Nachdem ich bei Gastspielen von Pekinger Ensembles, wie sie sich in den letzten Jahren bei uns eingebürgert hatten, ab und zu eine dieser Opern gesehen hatte, die neben der künstlerischen Idee, die sie gekonnt vermittelten, Gesang und Artistik in hoher Qualität boten, hatte ich mich ein wenig für die Gattung überhaupt interessiert, die immerhin ein beachtliches Stück der chinesischen Kulturtradition darstellte.
Meine Kenntnisse waren bescheiden, aber sie schlossen das Wissen ein, daà es für die Peking-Oper, die in der Welt kein unmittelbares Gegenstück hatte, sowie auch für andere Bühnenveranstaltungen etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in der vielleicht glanzvollsten Periode der alten chinesischen Geschichte, als Kaiser Tjiän Lung regierte, eine der ärgerlichsten Einschränkungen gegeben hatte, die es in der Branche überhaupt gab: Der Mandschu Tjiän Lung, der eigentlich ein Förderer aller Künste war, selbst ein poetischer Mensch, der Gedichte verfaÃte, lieà die Verfügung ergehen, daà auf keiner Bühne eine Frau sich vor Männern produzieren dürfe.
Das hatte zur Folge, daà männliche Darsteller die weiblichen Opernrollen übernehmen muÃten. Und dadurch wiederum entstand für die Opern-Männer ein neues Fach, die Darstellung von Frauen nämlich, was bald dazu führte, daà es in dieser Disziplin Spezialisten gab, Könner von Rang, deren Namen bis heute nicht vergessen sind, da es diese Mandschu-Bestimmung längst nicht mehr gibt.
Jeder Opernkünstler bei uns kennt aber die Tradition, und da ich mit den Leuten ins Gespräch kommen wollte, knüpfte ich genau an dieser Stelle an, indem ich die junge Dame demonstrativ musterte und ihr das Kompliment machte: »Welch ein Glück, daà heute nicht nur Männer in der Oper spielen dürfen!«
Sie lachte. Hatte verstanden. Sah mich erwartungsvoll an, nachdem sie mir bestätigt hatte: »Das können Sie laut und deutlich sagen, Mister!«
Ich musterte betont nachdenklich die SchweiÃflecken unter ihren Achseln, gab mir Mühe, hingerissen auszusehen und fuhr demonstrativ aus meiner Versunkenheit hoch, als sie sich erkundigte: »Haben Sie einen besonderen Wunsch?«
Sie hatte das auf Mandarin gesagt, so wie es Shanghaier aussprechen. Vorsichtig erkundigte ich mich: »Sie sind nicht aus Peking?«
»Die meisten von uns kommen aus Shanghai. Waren Sie schon in unserer Vorstellung?«
»Leider nicht. Aber ich habe es vor.«
»Heute abend, neunzehn Plätze gibt es noch«, bot sie mir an.
Ich versprach ihr, an der Kasse vorbeizugehen und am Abend zu kommen. Aber dabei belieà ich es nicht. Ich hatte mich zu frontalem Vorgehen entschlossen. Das Mädchen sollte die erste Station sein.
»Lim Tok«, stellte ich mich mit, wie ich hoffte, vollendeter Höflichkeit vor. »Eigentlich bin ich zu Ihnen gekommen, weil ich etwas herausfinden möchte ...«
Sie lächelte: »Ob wir eine Auftrittserlaubnis haben? Finanzbehörde? Wir spielen mit Genehmigung!«
Dann erinnerte sie sich: »Ach so, ich bin Wei Wen-tang. Spiele jetzt in Schönheit gegen Tyrannei die Tochter des Dschao Gao. In Peking hat Mei Lan-fang das Mädchen gespielt. Je von ihm gehört?«
In Hongkong kannte man selbst in einschlägigen Kreisen diesen
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