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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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würde spät enden, wie ich befürchtete.
    Â»Du willst dir die Vorstellung nicht ansehen?« fragte ich Pipi nochmals.
    Aber sie schüttelte den Ponykopf wie bereits, als ich sie zum ersten Mal gefragt hatte.
    Â»Ich bin allergisch gegen diese Lärm-Opern mit ihren Gongs und Schellen und dem Schwertgeklirr und den keifenden Sängern ...«
    Kein Kunstverstand. Aber das sagte ich vorsichtshalber nicht.
    Â»Soll ich dich nach der Vorstellung hier abholen?« bot ich ihr an. Sie besah sich den Personalplan und nickte.
    Â»Könnte klappen, daß ich zwischen zehn und elf frei bin. Aber – wirst du nicht jemanden von den Opernleuten nach dem Genuß des Lärms zu einem Drink einladen müssen, ich meine nach der Vorstellung? Oder wenigstens zu einem Kaffee?« Bei den letzten Worten feixte sie maliziös.
    Ich versicherte ihr, das würde ich auf einen der nächsten Tage verschieben und zog ab zum Fahrstuhl.
    Eingeschlafen war ich schnell. Aber von innerer Ruhe konnte keine Rede sein. Jedesmal wenn ich endlich in der blühenden Landschaft der sanften Träume angelangt war, sprang aus einem Gebüsch ein vorzeitlicher chinesischer Opernkrieger hervor, der ein Gesicht hatte wie ein blasenkranker Transvestit, und prügelte sich mit einem Mongolen herum, dessen Zopf bei den schnellen Bewegungen wesentlich possierlicher wirkte als die langen Locken von Jacko mit dem Nasenschoner.
    Das Theater endete erst unter der Dusche. Als ich Pipi vor dem Verlassen des Hotels den Schlüssel wieder zusteckte, ermahnte sie mich mit ihrem unwiderstehlich zweideutigen Lächeln: »Betrag dich anständig!«
    Ich versprach ihr feierlich: »Ich werde mich vorbildlich verhalten. Auf dem Höhepunkt des Vergnügens werde ich sogar die Hose ausziehen!«
    Bevor sie mir etwas an den Kopf werfen konnte, war ich verschwunden.
    Gongs und Rasseln waren schon von weitem zu hören. Lockten auch Neugierige an, die unschlüssig vor dem Zelt herumstanden und wohl noch überlegten, ob nun Schönheit gegen Tyrannei knalliger sein würde als das letzte Weltraum-Video in der Bude, die nur einen Steinwurf entfernt lag, ob vielleicht die Galavorführung der Unterleibs-Akrobatinnen im Tien Lung mehr Anregung hergab, oder ob es gar am besten sein könnte, den ohnehin angebrochenen Abend gleich in Gesellschaft einer als exotisches Wunder angepriesenen Hure im Sex-Treff an der Ecke Hao Fook Street zu Ende zu bringen.
    Zu beachten war, daß die Opernleute vom Tienchao-Ensemble die niedrigsten Preise nahmen. Deshalb wohl war das Zelt schon ziemlich dicht besetzt, als ich kam.
    Ich erkämpfte mir noch einen Sitz neben einer Frau im mittleren Alter, die ein Baby – gewiß nicht ihr erstes – im Tuch vor der Brust hängen hatte und es in gewissen Abständen, meist wenn das Kleine zu krähen begann, säugte.
    Â»Ich bin schon zum vierten Mal hier«, teilte sie mir kontaktfreudig mit. Die Atmosphäre von Vorfreude und Krawall, die in dem Zeltbau herrschte, in dem die Luft zum Schneiden war, heiß, mit dem Qualm der billigen Zigaretten gemischt und mit dem Schweißduft der Leute, machte gesprächig.
    Ich kannte das. Es war zwar nicht gerade meine Traumvorstellung von Freizeitspaß, aber wenn man es von Kind auf immer wieder einmal erlebt hat, verliert es seine Absonderlichkeit.
    Deshalb klatschte ich genauso wie die anderen, als der Beamtendarsteller Kuang Hung auf die Bühne tanzte und die Gongs sich so wild gebärdeten als wäre Mao aus dem Mausoleum entsprungen. Wei Wen-tang trippelte auf verkrüppelten Lilienfüßen heran und versuchte, den Schwiegervater von seiner Intrige gegen ihre Familie abzubringen. Sie war eine leidliche Schauspielerin, ihr Gesang war zumindest mittelmäßig, aber als die Handlung weiterging, in die Szene hinein, in der sie ihrem Mann half zu flüchten, nachdem der Rest der Familie schon der Intrige zum Opfer gefallen war, kamen ihre Sprünge und Spagate, die nun einmal zu dieser Art Oper gehörten, längst nicht mehr so gekonnt wie am Anfang.
    Der Qualm im Zelt wurde dicker. Ein Eisverkäufer quetschte sich durch die Reihen der Zuschauer. Ein anderer schenkte Limonade in Pappbechern mit dem Aufdruck MacChinaman aus. Hier und da protestierte jemand gedämpft, daß ihm Zitronengetränk in die Haare tropfte. Einer rief Wei Wen-tang zu: »Höher mit dem Hintern, Tochter!« Und als Keng Do-lin, der den

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