Schwarze Blumen auf Barnard Drei
niemand gesehen hatte. Girons Blick saugte sich an den schwarzen Punkten fest. Mitten in sentimentales Schwärmen fiel der Funke einer Idee. Eine Kette bündiger Schlüsse gerann im Hirn des Fachmanns, eine Anzahl noch voneinander unabhängiger logischer Folgen. Plötzlich glaubte Giron die Atmosphäre zu durchschauen. Er glaubte durch gigantische Schichten aus Gas und Eis hindurchzublicken wie in die Anatomie eines geöffneten Leibes. Anschein und Deutung, Fetzen von Regeln einer gewalttätigen Physik, Produktionen seiner Einbildungskraft und das, was er wirklich sah, verschmolzen zum Bild eines Modells.
Giron mißtraute diesem Modell. Es war nicht hinreichend seriös. Wie kam eine Entdeckung zur Welt? Der Ernst des Forschens war eine wesentliche Zustandsgröße aktueller Wissenschaft. Sie war unmeßbar. Alle Welt maß sie nach Aufwand und Kosten. Giron schaute zum Chronometer. Bis hierher war seine Idee kaum vier Minuten wert.
Sein Ellbogen knallte gegen ein Hindernis, als er nach dem Handrechner suchte, Bewegungen gerieten zu weiträumig. Er verschoß einen Blick nach dem Ding. Es hatte sechs Augen und hing jetzt ein bißchen schief in der Klammer. Eine Kamera, bemerkte er mit anerkennendem Nicken, eine Spektralkamera für den Piloten. Dann fand er die Einschübe. Er schloß sie wieder so schnell wie Futterluken in den Käfigen von Heuschrecken. Schelmische Schwerelosigkeit. Am Ende kugelten dennoch einige Dinge zuviel durch die Kabine, ein Flachmann mit Kokosmilch, ein angebrochener Satz Reservesicherungen. Die Rechnertasten entzogen sich den Fingern wie Stücke nasser Seife. Eine Weile nahmen Girons Sinne von der Welt nichts anderes mehr wahr als errechnete Werte.
Die Werte paßten nicht in sein Modell. Aber sie sperrten sich auf eine dunkle, erregende, ja faszinierende Weise.
Giron hatte nichts zu tun, als mit Gedanken und mit diesen Nebendingen zu spielen, und er fühlte sich wirklich wunderbar. Der Andruck schwand. Die Erbsen im Kasten ratterten eine halbe Sekunde wie verrückt. Giron blickte nach hinten durch den offenen Kanal, der die Maschine in ihrer ganzen Länge durchzog, diesmal bollerte dort nichts. Saturn sah großartig aus. Keine Eisperlen. Giron nickte. Die CD-Lücke lag an. Selbst bei ihrer Durchquerung, wenn die nautischen Manöver und die Messungen begannen, würde er nichts zu tun bekommen. Im Grunde war er ein überflüssiger Passagier.
Natürlich hatte er das Journal gelesen. Die Rubrik hinter seinem Namen wies ihn als Strategen aus. Giron lächelte vergnügt. Die Hirne nautischer Sonden galten als überaus zuverlässige Taktiker – und als kurzsichtige Strategen. Sie sahen und wußten zuviel. Strategen bedurften der Fähigkeit, hinreichend viele Einzelheiten nicht zu bemerken oder, ins Weite blickend, über diese Details hinwegzusehen. Diese Art Unzulänglichkeit ging automatischen Hirnen ab. Ihm, Giron, hatte man sie schulterklopfend anerkannt: Sieh zu, daß nichts schiefgeht!
Irgendwo, hatte er das Gefühl, gab es einen Dreh, der seine Berechnungen mit dem Modell in seinem Kopf in Einklang bringen würde, ein lausiger und naheliegender Trick versteckte sich im Gestrüpp der Zahlen.
Vorerst gerieten in sein Blickfeld nur die Kokosmilchflasche und die Halterung der Kamera. Aber die Klammern waren leer. Der Apparat war dort nicht mehr vorhanden. Unverzüglich weckte der Mangel den Wunsch nach einer Reihe von Spektralaufnahmen der Atmosphärenoberfläche aus dieser attraktiven Position. Er bedachte das schmalbrüstige Image seines noch ungeborenen Modells. Solche Bilder würden es bunt machen.
Giron entdeckte die Kamera, wie sie mitten im zentralen Kanal der Maschine in der Luft schwebte. Er unternahm gar nicht erst den Versuch, ihrer habhaft zu werden. Seiner Reichweite fehlten wenigstens zwei Meter. Er würde sich losschnallen und durch den schwerelosen Raum auf den Weg machen müssen, und die zwei Meter würden kaum weniger zählen als zwanzig oder zweihundert. Er wußte um die entwürdigende Hilflosigkeit strampelnder Männer, die wie Ballone dahinschwebten, mit Fingern oder Bordschuhen an Wände und Decken tippend, all den Hokuspokus, die Suche in Taschen nach irgendwelchen Massen, die man von sich warf, um einige Meter zu gewinnen. Er erinnerte sich seines gestörten Verhältnisses zu den Erfolgreichen in dieser Branche, zu den Artisten der Schwerelosigkeit, die immer genau dorthin gelangten, wohin sie wollten oder mußten. Aber heute fühlte er
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