Schwarze Blumen auf Barnard Drei
wahr? Und jetzt willst du mich nicht mehr.«
Seine Hand stahl sich durch die dunklen Hüllen hindurch, unter denen ihr Leib verborgen war, er suchte, um das Gefühl zu erproben, wenn er ihren Arm umfaßte, jenes erste Gefühl, an das er sich erinnerte, und auch Ana erinnerte sich, und ihr Blick wurde weich vor Zärtlichkeit, während sie den Mann anschaute. »O ja«, flüsterte sie, »noch immer? Warum willst du mich? So eine?«
»Weil du häßlich bist und eine Nervensäge«, murmelte Giron.
»Ich ging gleich los zum Fluß, um dich zu suchen«, sagte Ana. »Wie konnte ich wissen, wie sie mir’s verderben und daß sie mich so verrückt machen würden, so verrückt nach dir?«
»Du gingst? Man war blind in dem Brei.«
»Gut«, sagte Ana, »es ist eine Lüge: nicht nur nach dir. Nach jedem Mann.«
»Du konntest gehen in dem rosa Brei?«
»Wie dumm ihr seid«, sagte Ana, und ein sanfter Finger umkreiste die Buckel auf seiner Stirn, »was für dumme und eckige Böcke und Ziegen. Ich kann hier gehen, wohin ich will, auch ohne Augen. Und immer waren Boolies da. Viele. Meine Freunde. Die Biester, die mich so verrückt machen nach dir.«
Sie ließ dann ab von Giron, bettete sich in das bißchen Baum neben ihn hin, bemüht, den Mann nicht zu berühren, obgleich das unmöglich war. Sie schwieg eine Weile, fing dann zu reden an, sprach fort und fort mit ihrer rauchigen Stimme und wie an niemanden sich richtend.
Jetzt war es Giron, der sich ihr zuwandte, er blickte auf den Chip neben der Nase, wie der Chip hüpfte, während die Frau sprach, und auf den großen Mund mit den so behenden Lippen. Er rieb mit der Zunge an den noch fremden Flächen seines neuen Zahns, hörte zu, geduldig und ohne zu fragen. Natürlich war von den Boolies die Rede, sonderbar flüchtig nur wie von lieben und hilfreichen Gesellen und ohne die großartigen und geheimnisvollen Attribute, die zu hören er sich gefaßt gemacht hatte.
Anas Rede eilte auf anderes zu. Jenseits des Flusses, wie Giron dann auch sogleich erfuhr, hatte sich der Nebel geöffnet wie ein jählings auffliegendes Tor zu einer anderen Welt. Inseln aus schwarzen Blumen, blitzesprühendes Gold, Seen grünen Schattens zwischen den rosafarbenen Hügeln, Nähe, Ferne, gestochene Konturen, ein Stück Horizont, wie in naiver, unnatürlicher Schärfe gemalt, die Sonne, Bewegung, Leichtigkeit, Stille.
Giron freute sich, wie ihre Empfindungen einander glichen. Aber diesen einen Moment lang hatte er wieder irgend etwas verpaßt, Anas Bericht schien zu den schwarzen Blumen zurückzukehren, aber zu ganz anderen diesmal, die sie mit neuen, fremdartigen Wörtern beschrieb. Landschaft und Ferne verschwanden hinter einem Wald oder hinter Bauten schwereloser, schwindelnd hoch aufstrebender Architektur. Gitter, Netze, schwarze, zottige Gespinste schaukelten auf unmäßig langen und dünnen Stielen, schwebten oder hingen dort oben oder stelzten auf diesen Stielen einher, gewichtslose Substanz, durch die das Grün des Himmels schien.
Nun erinnerte sich Giron der roten Sonne, von der er geglaubt hatte, daß sie zerbrochen sei, und Ana schilderte Formen, in denen er widerstrebend Hohlkugelsegmente, Rotationsparaboloide oder konkave Asphären erkannte und andere Figuren, die er nur vage oder gar nicht zu deuten verstand. All das wirkte übertrieben, war zu leicht, zu gewaltig, schwarz und durchscheinend zugleich, andernorts glitzernd wie eine Wolke aus winzigen, zitternden Spiegeln. Ana erwähnte Starre wie von Glas oder Stein, Entfaltungen, Tanz, Kommen und Gehen, und in den Gassen zwischen den Blumen oder Maschinen waren auf einmal Boolies da, sprangen oder schwebten hoch oben in den Gittern und Wolken, gaben sich – so glaubte er zu verstehen – sonderbar nutzlosen Spielen hin oder wollüstigen Vereinigungen.
Giron rieb mit der Zunge an seinem Zahn und rief einen Gedanken ins Gedächtnis zurück, ein Bild, jene Vorspiegelung verschwimmender Grenzen zwischen gewachsener Natur und geschaffenen Dingen, als ob sich das eine in das andere zu verwandeln vermochte, als ob sich Geschöpf und Schöpfer ineinander vermischten. Er verspann sich in diese Idee, bis ihn Stille aus dem Grübeln riß, Ana schwieg. Irgendein letztes Wort der Frau hing noch in der Luft, er beugte sich über sie und fragte: »Angst? War es das? Du fürchtetest dich? Wie kamst du zurück zum Fluß?«
Ana hatte die Augen geschlossen. Wie immer, wenn er zusah, wie sie
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