Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Titel: Schwarze Blumen auf Barnard Drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Leman
Vom Netzwerk:
einschlief, schien sich Schleier um Schleier von ihrem Gesicht zu heben, bis es dünnhäutig, entblößt und verletzlich zurückblieb.
      »Angst? Ja. Ach, Salman. Aber doch nicht ich«, murmelte sie.

    29.

    Leben unter den Dächern schwelte wie ein gewaltsam niedergehaltenes Feuer. Nur ab und zu brach eine Flammenzunge aus der verdeckten Glut: Gerenne, überreizte Gefühle, Streit, Gelächter, die Klage mißhandelten Materials. Jermakow herrschte die Techniker an, des Wassers und der Sender wegen. Er verlangte Bewegung, Erfolg, Zuwachs an Einsicht zumindest, Gutes oder Übles gelte ihm schon gleich viel.
      Der Nebel blieb sitzen, und Orlows Worte über den Nebel blieben in den Hirnen sitzen, die Absicht, die Aussperrung. Man schaute durch die Luken, hundert rasche Blicke versackten im Nichts, aushöhlend, zehrend, als trügen sie irgend etwas mit sich fort. Hoch oben über der Öffnung des Schachtes schwamm die Sichel von Römisch drei Opal im schandbar heiteren Grün des Himmels dahin, rosafarbene Schönheit für eine Viertelstunde, anstößig wie der Spanner am Schlüsselloch.
      Ein Schwall zu grober und zu hitziger Worte sprang über die Wände der Messe hinweg, Tschuks, Jermakows, Blichers Stimmen. Man erfuhr, daß das Frischwasser gesperrt wurde.
      Blicher drehte den Input zu, das interne Recycling sprang an, die Wasserversorgung rastete förmlich zurück in die Nut geplanter Ordnungsmäßigkeit, Tschuk hatte sich endlich durchgesetzt. –
      Giron ging zu Orlow. Er musterte den Mann, die im Wirrwarr des Haares schwindenden Flächen von Blässe, das Gemenge von Fieber, Intelligenz und morgenländischer Melancholie im Dunkel der Augen, die Brandflecke im Hemd. Girons Hirn war von Fragen erfüllt wie von wütenden Fliegen, aber er wußte nicht, wie er sie stellen sollte. »Schläfst du mal? Und ißt du mal etwas?« fragte er betroffen. Der Dschungel in dieser Höhle schien undurchlässig für Nervosität und Betrieb, und die Fliegen beruhigten sich.
      Orlow hantierte mit den Kladden, Matrizen und Bändern, die den einzig sichtbaren Hocker besetzten, doch die Geschäftigkeit war nur gespielt. Mitten im Räumen hielt er inne und sagte etwas Merkwürdiges. Er sagte etwas über Bäume, von denen Blätter herabfielen, von verlassenen Gehäusen, von Abgestoßenem, aus dem das Leben erst allmählich entweiche, wie lange oder wie kurze Zeit es noch fortdauern könne in diesen Dingen. »Ich machte Fourieranalysen… Einige tausend«, fuhr er fort, »einige tausend, Salman, das sagt sich so hin… Ana bringt, was sie findet, ich habe schon so viele von diesen… herabgefallenen schwarzen Blättern. Und dann setze ich Fouriers und Eulers Formeln auf die Spur ihrer erlöschenden Felder… Büschel reiner Sinusfunktionen, von denen der Mann in der Messe nichts wissen will… Rauschen. Achtzig-, hundert-, zweihundertmal Rauschen. Nichts. Nur Rauschen, weißes, buntes. Wie würde er seine Finger umeinanderwinden, er, Andrej, der Ein- und Austakter, er hätte seine Freude daran… Und dann redet eins. Eins bring ich dann endlich zum Reden, obwohl er’s ihm verboten hat…«
      Giron begriff, daß Orlow ein Gespräch fortsetzte, dessen Anfang es gar nicht gab, ein Gespräch mit niemandem, allenfalls mit sich selbst. Der Mann redete über die »schwarzen Fragmente«.
      Orlow tauchte in eine der Nischen, Giron stand noch immer da, hörte mit bestem, aber verzweifelndem Willen der Stimme zu, die aus der Nische herausdrang wie aus verdämmendem Gesträuch. »Horch, Salman! Sie bellen! Wie die Wachhunde stehen sie vor ihren Algorithmen und bellen. Seine Antenne ist verstummt. Er muß seine Algorithmen in die Welt blasen, und nun sind die Antennen stumm. Ach, der Arme… Eine Tragödie? Eine Komödie?«
      Giron hörte heimliches Lachen.
      »Am Anfang steht das Ereignis. Aus dem Ereignis machen sie Information, aus der Information Pläne, aus den Plänen Algorithmen. Was für ein mühseliger Weg! Über die Algorithmen macht er die wirklichen Ereignisse vergessen. Und nun ist die Antenne stumm…«
      Orlow trug eine Box aus dem Dämmer der Nische ins Licht und etwas wie einen winzigen goldenen Käfig, geschickte Arbeit, die Blichers Hand verriet. Kabel, die an Box und Käfig hingen, rissen Papiere von irgendwoher herab, ein Foto fiel Giron in die Hand, das Bildnis eines Bärtigen, Orlows selbst, das zugleich aber auch das Bild eines alten Mannes war. Orlow drückte bedächtig die Tasten auf einem Manual.

Weitere Kostenlose Bücher