Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
allmählich wieder Konturen an, und er erinnert sich, wo er ist. Er blinzelt das Blut weg und hört ein unangenehmes, spritzendes Geräusch. Der Mann hat gerade auf die schmutzigen weißen Kacheln am Boden des Bunkers gespuckt. Sullivans Kopf taumelt zur Seite, und er sieht es dort, bevor er sich benommen wieder zu dem Mann hinwendet, der vor ihm steht und sich mit dem Handrücken über den Mund wischt.
Sie starren einander an – das heißt, soweit Sullivan dazu noch in der Lage ist.
Hinter der vorgehaltenen Hand kichert der Mann plötzlich in sich hinein.
Sullivan kann nicht sagen, wieso. Vielleicht über das, was er mit seinem Gesicht angerichtet hat, was Sullivan selbst nur fühlen und dumpf ahnen kann. Es ist so viel, dass es nicht mehr wichtig ist. Der Mann hat ihn immer und immer wieder geschlagen – ausnahmslos ins Gesicht, denn darauf konzentrieren sich Sadisten. Unser Gesicht ist uns wichtig, weil es unsere Identität definiert, weshalb Folterer mit Vorliebe die Züge ihrer Opfer entstellen. Teils, weil wir es vorher fürchten, und teils, weil andere es hinterher fürchten.
Allerdings trifft das die Situation hier vielleicht nicht ganz, denn dieser Mann hat nicht vor, ihn am Leben zu lassen, damit ihn andere sehen. Und weil Sullivan versteht, dass mehr an einem Menschen ist als sein Aussehen in den Augen der Welt.
Sein Kopf rollt wieder, sein Blick richtet sich erneut auf die offene Tür und die schwarzen Blumen da draußen, die so gar nicht zur Sonne passen. Als der Mann wieder anfängt, ihn zu schlagen – jetzt fester, weil er es vielleicht hinter sich bringen will –, lösen sich Sullivans Gedanken plötzlich und sind frei. Die schwarzen Blumen, denkt er. Sobald der Samen gepflanzt ist, muss die Blume unweigerlich blühen. Er denkt an Clark Poole und an das, was er mit der kleinen Anna Hanson getan hat, und dass alles, wirklich alles darauf zurückgeht. Er fragt sich, wie die Gebilde, die in einem so schrecklichen Boden wachsen, so komplex und eigenartig werden können.
Und dann merkt er, dass er sie sehen kann.
Zuerst hält er es für einen Traum. Oder Schlimmeres. Seine Gedanken haben unter den unablässigen Schlägen abgehoben, und vielleicht suchen ihn jetzt Gespenster heim oder ein Engel. Vielleicht fasst sie ihn gleich bei der Hand und nimmt ihn mit.
Aber nein, er sieht sie wirklich. Sie ist da.
Anna Hanson. Nein, natürlich nicht sie. Charlotte. Sie steht im Eingang zum Bunker und verstellt ihm jetzt den Blick auf den Garten. Der Mann hat sie nicht gesehen – er schlägt immer noch zu und erschöpft sich dabei. Doch während Sullivans Kopf hilflos vor und zurück fliegt, sieht er sie. Jedes Mal, wenn er in die Richtung blickt, hat sie sich ein wenig näher an das Gewehr angeschlichen, das der Mann an die Wand neben die Tür gelehnt hat.
Näher.
Ihr Gesicht ist voller Entsetzen. Trotzdem würde er, wenn er könnte, lächeln. Was sie da tut, ist so ungeheuer mutig. Es muss unglaublich schwer für sie sein, denn er weiß, wie viel Angst sie vor diesem Mann hat, und sie weiß, was das letzte Mal passiert ist, als sie es gewagt hat, sich gegen ihn zu stellen.
Näher.
Niemand hat das Recht, noch einmal einen solchen Mut von ihr zu erwarten.
Doch sie bringt ihn auf.
Sullivan schließt die Augen, verliert fast ganz das Bewusstsein. Der letzte Anblick, an den er sich erinnern kann, ist das kleine Mädchen, das nach dem Gewehr greift und hastig damit zielt. Anna Hanson. Charlotte Webb. Für ihn gibt es keinen Unterschied mehr. Es hat nichts mehr zu sagen.
Und dann, bevor Sullivan Zeit hat, noch irgendeinen Gedanken zu fassen, explodiert die Welt in Rot und Schwarz.
Hannah senkte das Gewehr.
Es war ein professioneller Schuss gewesen. Sie hatte gezielt, gespannt, abgedrückt. Der Schaft hatte an ihrer Schulter gerüttelt, aber nicht schlimm. Das Schlimmste war der Knall, der alle anderen Geräusche in sich aufgesaugt zu haben schien, und jetzt, wo es vorbei war, hatte sie ein taubes Klingeln in den Ohren.
Sowie das Klingeln vorbei war, kehrten die Schreie wieder.
Hannah wandte sich zu der Frau auf der anderen Seite des Bunkers um – im Grunde noch ein Mädchen. Dawsons Lebenspartnerin. Sie kauerte mit gefesselten Händen neben einem Stahltisch und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, während sie dennoch über den Arm auf die Szene ihr gegenüber spähte.
»Es ist vorbei«, sagte Hannah.
Es war immer noch schwer, ihre eigenen Worte zu verstehen, und sie war sich
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