Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
Beobachtung verdammt zu schaffen machte, bildete ich mir nicht nur ein.
Ich blätterte bis zum Anfang des Buchs zurück. Es gab kein Vorwort, keine Kapitelzählung. Es fing einfach an.
So laufen die Dinge nicht.
Ich las die ersten Seiten des Buchs.
Und hörte nicht mehr auf.
Auszug aus Die schwarze Blume von Robert Wiseman
Kaum betritt Sullivan das Büro, weiß er, bevor auch nur ein Wort gefallen ist, dass Detective Chief Inspector Peter Gray ihm nicht glaubt. Genauer gesagt, dass Gray die Geschichte des kleinen Mädchens nicht glaubt, jedoch vermutet, dass Sullivan sie für bare Münze nimmt.
Ersteres macht schon die Körpersprache des Vorgesetzten deutlich. Gray ist sichtlich angespannt, andererseits nicht einmal ansatzweise so, wie er es wäre, wenn er daran glauben würde. Letzteres ist eine Sache der Logik. Nach dem, was mit Anna Hanson passiert war, weiß jeder hier im Morddezernat, dass DS Michael Sullivan sich mit Haut und Haaren engagiert, wenn es um Kinder geht – nie wieder wird er einen Hilferuf ungehört verhallen lassen. Er hat als Profi einen blinden Fleck entwickelt, der möglicherweise seine Urteilskraft trübt. Das glaubt sogar sein Partner Pearson, und Gray denkt genauso.
Die Plexiglastür klirrt im Rahmen.
Gray deutet auf den Stuhl.
»Setzen Sie sich, DS Sullivan.«
Sein Ton ist dienstlich: Er ist entschlossen, die Sache so schnell und so unkompliziert wie möglich abzuhaken. Sullivan widersteht der Versuchung, vorzupreschen und seine Argumente auf den Tisch zu legen. Stattdessen folgt er der stummen Aufforderung, zieht mit einem scharrenden Geräusch den leichten Stuhl zurück und nimmt gegenüber Gray Platz. Selbst durch die geschlossene Tür hört er hinter sich das Geklapper, Surren und Klingeln der Schreibmaschinen.
Einen Moment lang schweigen sie sich gegenseitig an.
Sullivan sieht sich um. Grays Büro ist in widerwärtigen Farben gehalten. Die Wände sind in einem unangenehmen Erbsengrün gestrichen, der Teppich ist beige, sein alter, verkratzter und ramponierter Schreibtisch besteht aus dunkelbraunem Holz – ein Möbelstück, das man sich im Wohnschlafzimmer eines Pensionärs vorstellen kann. Zusammen mit dem verrosteten, quietschenden Aktenschrank und der Topfpflanze mit den Spinnweben auf der Fensterbank vermittelt das Büro das Gefühl, als hätte sich jemand die Einrichtung in seiner Verzweiflung aus den Überresten eines Trödelmarkts zusammengekratzt.
Die Schaumstoffplatten an der Decke waren ursprünglich weiß, im Lauf der Jahre aber von den Zigaretten, die Gray unablässig raucht, gelblich verfleckt. Seine kantige, forsche Kappe liegt auf seinem Schreibtisch neben einem Aschenbecher aus Glas, der von orangefarbenen Zigarettenstummeln und Asche überquillt. Sullivans Bericht liegt dazwischen.
Gray zündet seine nächste Zigarette an, stößt eine Rauchwolke aus und schiebt die Akte in die Mitte des Tischs.
Die nimm am besten gleich wieder mit, scheint er zu sagen.
»Ich habe einige der Einzelheiten nachgeprüft, Sir«, sagte Sullivan.
Gray zieht kaum merklich die Augenbrauen hoch. Hatte ich nicht anders erwartet. Die Geste zeigt, dass Sullivans Worte Gray zwar bekümmern, aber nicht im mindesten überraschen.
Schon jetzt macht sich Sullivan nicht wirklich Hoffnung – Grays Verhalten gibt dazu wahrlich keinen Anlass –, doch die Sache wurmt ihn, diese unterschwellige Wut wird er nicht mehr los, so wie man noch eine Weile die Umrisse einer nackten Glühbirne vor sich sieht, in die man hineingestarrt hat. Sie lässt ihn nicht mehr los, seit er mit dem kleinen Mädchen gesprochen hat.
»Jane Taylor«, sagt er. »Sie ist letztes Jahr am 15. März aus Brookland verschwunden. Das letzte Mal wurde sie beim Spielen vor ihrem Haus gesehen.«
Er beugt sich vor.
»Es gibt widersprüchliche Zeugenberichte, aber zwei Personen haben einen ähnlichen rostigen roten Lieferwagen gesehen, wie er in der Akte erwähnt wird. Und sie war zwölf Jahre alt, also genauso alt wie die ›Jane‹, mit der unser Kind unterhalb ihres Hauses gespielt haben will.«
Unser Kind.
Er bereut die Worte, kaum dass sie ihm herausgerutscht sind, doch was soll’s. Gray ist nicht bei der Sache; er hält sich nur an die Dienstvorschriften und wartet darauf, das Wort zu ergreifen. Um diese Unterhaltung schnellstens zu beenden, ob es Sullivan nun passt oder nicht.
»Ich würde ihr gerne, Sir«, fährt Sullivan fort, »ein Foto von Jane Taylor zur Identifizierung vorlegen. Ich hab eins in der
Weitere Kostenlose Bücher