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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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eine Rille entstanden war, in der das Blatt bleiben konnte, während ich in beide Richtungen sägte.
    »Am Nachmittag hat er ihr erlaubt, Magic mitzunehmen. Aber sie wollte unbedingt hinterherfahren, wenn das Pferd nach Malibu zurückgebracht wurde, und es war zu spät, um den Transport zu arrangieren. Deshalb sind wir zum Abendessen und über Nacht geblieben.«
    Um eine präzise Rille hinzubekommen und dann das Blatt darin zu führen, musste ich mich konzentrieren, weshalb ich Timothy keine Sekunde ansah. Seine Stimme aber ließ so lebendige Bilder in mir entstehen, dass ich den Eindruck hatte, selbst dabei gewesen zu sein.
    In jener schicksalhaften Nacht hatte man ihm im Privatsalon seines Vaters ein Sofa zugewiesen, das mit Decken und Kissen hergerichtet wurde. Seine Eltern zogen sich in das Schlafzimmer nebenan zurück.
    So müde Timothy auch war, er war sehr aufgeregt, an einem neuen Ort zu sein – und er fühlte sich aus Gründen, die er nicht erklären konnte, unwohl. Deshalb schlief er nur leicht und wachte mitten in der Nacht auf, als sein Vater in Pantoffeln und Bademantel durchs Wohnzimmer zur Tür ging und im Flur verschwan d.
    Als großer Fan von Kriminalhörspielen, wie sie damals im Radio liefen, vermutete der Junge ein Geheimnis und beschloss, die Rolle des Detektivs zu spielen. Er stand auf, lief zur Tür, öffnete sie leise und schlüpfte in den Flur.
    Aufgeregt, aber verstohlen folgte er seinem Vater durchs Haus nach unten. Dabei hielt er so viel Abstand, dass er Cloyce zweimal fast verloren hätte, und dann verlor er ihn tatsächlich. Im Licht des Vollmonds, dessen gespenstisches Licht durch die großen Fenster drang, streifte Timothy desorientiert durch die labyrinthischen Flure und Räume.
    Nach einer Weile kam er, ohne es zu wissen, in den Gästeflügel im Erdgeschoss, wo im Flur Licht brannte. In einem der Zimmer hörte er Stimmen, das leise Lachen einer Frau und das Wimmern einer anderen.
    Als er an der Tür lauschte, fing er gelegentlich ein gedämpftes Wort auf, hauptsächlich jedoch männliche und weibliche Stimmen, die spitze Schreie ausstießen und stöhnten. Ob diese Geräusche Vergnügen oder Schmerz ausdrückten, war dem jungen Timothy nicht klar, weshalb er zu der Überzeugung kam, da drin würde sich etwas sehr Merkwürdiges abspielen, was von enormer Bedeutung war.
    Die Krimihelden aus dem Radio, die er bewunderte, waren clever, kühn, furchtlos. Sie hatten nie Angst, und sie wichen nie auch nur einen Schritt zurück. Und weil sie immer den Moment nutzten, triumphierten sie auch immer.
    Er wagte es, die Tür einen Spaltbreit zu öffnen.
    Dahinter befand sich ein weitgehend dunkles Wohnzimmer, erhellt nur durch das Licht, das durch die offene Tür des angeschlossenen Schlafzimmers fiel.
    Wie magnetisch angezogen schlich der Junge sich durch den ersten Raum. Im nächsten sah er den Schein von zwei Nachttischlampen mit plissiertem Schirm, die ein pfirsichfarbenes Licht warfen.
    Kurz vor der Schwelle des Schlafzimmers ließ ihn der Anblick, der sich ihm bot, innehalten. Sein Vater lag mit Sondra und Glenda auf dem Bett. Timothy war so jung, dass er in jener unschuldigeren Zeit nicht recht wusste, was er da sah. Vielleicht hätte er es begriffen, wäre die Szene nicht dadurch noch rätselhafter geworden, dass Sondra ein Hundehalsband trug und mit schwarzen Seidenbändern an die Bettpfosten gefesselt war.
    Gleichermaßen merkwürdig war die Anwesenheit von Chiang Pu-yi, der sich inzwischen Jam Diu nannte. Timothy hatte ihn in den vergangenen Jahren mehrfach in Gesellschaft seines Vaters gesehen.
    Später erfuhr er, dass Chiang Pu-yi ein sehr reicher Mann mit Kapitalanlagen in Hongkong und England war. Er hatte Cloyce in London kennengelernt, wo die beiden einige Tage bei Aleister Crowley verbracht hatten, dem Magier und Okkultisten, der sich als das Tier aus der Offenbarung des Johannes bezeichnete. Die zwei Männer fühlten sich einander verwandt, da beide einen unbezähmbaren Willen zur Macht besaßen.
    In jener Nacht im Jahre 1925 saß Chiang Pu-yi in einem Sessel, der auf der anderen Seite des Betts stand. Merkwürdig gekleidet, beobachtete er die drei. Timothy erinnerte sich nicht mehr genau, was Chiang getragen hatte, denn eines verblüffte ihn besonders – dieser Mann, der wesentlich älter als Cloyce war, sah um viele Jahre jünger aus als beim letzten Mal, als der Junge ihm begegnet war.
    Verwirrt stand Timothy länger als eine Minute im Schatten vor der Schwelle, zugleich

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