Schwarze Fluten - Roman
Ausweg mehr.
Die Biester waren eindeutig nicht besonders intelligent und würden sich daher nicht zu einer ausgiebigen Lagebesprechung zusammensetzen. Dumm waren sie allerdings auch nicht, und es war nicht zu erwarten, dass sie sich lange im Keller aufhielten, wenn hier oben wesentlich mehr Proviant zu finden war.
Obwohl ich kein Grunzen und Schnauben und auch keine schweren Schritte auf der Treppe hörte, zögerte ich nicht länger. Ich zog Timothy aus der Diele in den großen Salon.
Der riesige, bocksfüßige Pan stand immer noch auf seinem Podest unter dem mittleren Kronleuchter, und ich wusste, auf welcher Seite er bei einer Auseinandersetzung zwischen mir und ein paar hochgezüchteten Keilern stehen würde. Wir hielten uns am dunklen Rand des Raums, bis wir zu dem Sofa kamen, hinter dem ich mich vorher versteckt hatte. Dort blieben wir stehen und lauschten. Nichts. Aber wenn sie kamen, dann rochen wir sie wahrscheinlich, bevor wir sie hörten.
Nachdem Cloyce und seine Leute den Keller durchsucht hatten, hatten sie dort offenbar Jam Diu postiert, um mir den Fluchtweg abzuschneiden. Die Biester waren jedoch kaum diszipliniert genug, als dass eines von ihnen bereitwillig unten geblieben wäre, während die anderen sich oben austobten. Wenn wir es also schafften, noch einige Minuten am Leben zu bleiben, bis alle drei ins Obergeschoss getrampelt waren, konnten wir uns wieder in den Keller schleichen und so verschwinden, wie wir es ursprünglich vorgehabt hatten, auch wenn ich nicht besonders scharf darauf war, durch die Überreste von Mr. Diu zu waten.
Plötzlich wurde mir klar, dass wir den Biestern unten im Flur gefährlich nahe gekommen waren, sie jedoch überhaupt nicht gerochen hatten.
»Die haben nicht gestunken«, flüsterte ich. »Sonst weiß man wegen des Gestanks doch immer, wenn sie in der Nähe sind.«
»Stinken tun nur die deformierten unter ihnen«, antwortete Timothy.
Das war jetzt aber wirklich unfair. Wenn sie nicht stanken, konnten sie sich womöglich auch leise verhalten, falls sie das wollten. Auf geruchlose, verstohlene Biester, die unerwartet aus dem Nichts auftauchten, war ich gar nicht vorbereitet.
In einem entfernten Teil des Hauses donnerte der Schuss einer Schrotflinte. Der erste Schrei, den wir hörten, war ebenso sehr ein wütendes Bellen wie ein schmerzvolles Quieken. Er kam eindeutig aus einer Schweinekehle.
Der zweite Schrei jedoch, der dem ersten rasch folgte, war das erbärmlichste menschliche Kreischen, das man sich vorstellen konnte. Ich hoffte, so etwas nie wieder zu hören. Es war ein furchtbarer Ausdruck von Entsetzen und Todesqual, der eine halbe Minute oder länger andauerte und mich so folterte, dass mir Goyas Gemälde Saturn verschlingt eines seiner Kinder in den Sinn kam, das noch grässlicher ist, als es der Titel ausdrückt.
Obwohl keiner der Bewohner von Roseland Timothys Freund war, nicht einmal sein Vater, setzte der qualvolle Schrei ihm so sehr zu, dass er zitterte und leise zu schluchzen begann.
Die Stimme, die da schrie, war unschwer zu erkennen. Ich war sicher, dass wir gerade das Ende von Mr. Shilshom gehört hatten.
Die Einschränkungen, die uns die Realität auferlegte, mussten nun selbst jenen Bewohnern von Roseland deutlich geworden sein, die gemeint hatten, sie lebten ohne Grenzen, ohne Regeln und ohne jede Angst.
Bemitleiden konnte ich sie nicht, denn echtes Mitleid ist mit dem Wunsch zu helfen verbunden. Ich aber hatte keinerlei Absicht, mich und Timothy irgendwelchen Gefahren auszusetzen, um etwas für diese Leute zu tun.
Auch wenn ich es nicht erwartet hätte, war ich bewegt von der verzweifelten Erkenntnis der Leere, die sich in dem langen, qualvollen Todesschrei ausdrückte. Die schlimmsten und die besten Menschen stehen in dem gleichen kalten Schatten, und selbst wenn jemand den Tod verdient hat, spüre ich, wie mich so etwas bis ins Mark erzittern lässt.
Als der Schrei verstummt war, herrschte tiefes Schweigen im Haus.
Mein bisheriger Plan, uns einige Minuten zu verstecken und zu warten, bis alle Biester nach oben getappt waren, um uns dann wieder in den Keller zu schleichen, kam mir jetzt nicht mehr besonders schlau vor. Wahrscheinlich konnten die Schweinedinger uns mit ihrem Geruchssinn überall aufspüren, den luftdicht verschlossenen Kühlraum neben der Küche einmal ausgenommen.
Der Kühlraum aber stellte einerseits eine potenzielle Falle dar, und andererseits wollte ich mich darin ebenso ungern verbergen wie im
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