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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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gemeinschaftlichen Kochtopf eines Kannibalendorfs.
    »Wenn die Biester im Haus sind, gibt es keinen Grund mehr, es nicht zu verlassen«, flüsterte ich Timothy zu. »Draußen haben wir mehr Möglichkeiten zur Flucht. Wo sind die Schalter für die Stahlplatten?«
    »Das … das weiß ich nicht.«
    »Hast du gar keine Ahnung?«
    »Nein«, sagte er. »K-k-keine.«
    Er streckte die Hand nach mir aus, und ich ergriff sie. Sie war klein und kalt und feucht vor Schweiß.
    In den fünfundneunzig Jahren seiner merkwürdigen Existenz hatte er Tausende Bücher gelesen, die den Großteil seiner Erfahrung darstellten. Tausende von Leben in Tausenden von Büchern in seiner Fantasie nacherlebt, dazu so lange Zeit in den vielfältigen Schrecken von Roseland, und dennoch war er nicht dem Wahnsinn verfallen, sondern in einem Teil seines Herzens ein kleiner Junge geblieben, der sich an einem Funken Unschuld festhielt. Unter den bedrückendsten Umständen hatte er sich zumindest ein wenig von der Reinheit erhalten, mit der er geboren worden war.
    So viel hätte ich in seiner Lage nicht leisten können. Umso mehr graute mir davor, ihm nicht helfen zu können, was ich seit seinem vertrauensvollen Lächeln auf der Treppe sicher annahm.
    Die anhaltende Stille schien uns gleichermaßen aufzufordern, uns in Bewegung zu setzen, und uns vor einem überstürzten Handeln zu warnen.
    Schräg gegenüber öffnete sich auf der anderen Seite des riesigen Raums eine der zwei kleinen Personaltüren in der Holztäfelung. Herein trat Mrs. Tameed wie ein erfahrener Cop, der sich vorsichtig über eine Schwelle schiebt. Geduckt, in beiden Händen die Pistole, schwenkte sie diese, Mündung voran, von links nach rechts.
    Obwohl wir am anderen Ende des Raums im Dunkeln standen, sah sie uns. Schon bevor sie den Mund aufmachte, spürte ich ihre Wut.
    »Du verfluchter Dreckskerl«, zischte sie, von der aktuellen Gefahr offenbar so benommen, dass sie sich verpflichtet fühlte, ihre Ausdrucksweise ein wenig zu mäßigen. »Du hast sie ins Haus gelassen!«
    Wie ich es im Keller gegenüber Timothy getan hatte, hob ich den Finger an die Lippen, um ihr mitzuteilen, dass Schweigen angesagt war. Auch wenn wir uns noch so sehr verachteten – wenn wir uns jetzt gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen, zogen wir uns unweigerlich das Schicksal von Jam Diu und Shilshom zu.
    Sie feuerte einen Schuss auf mich ab.

44
    Nur weil Mrs. Tameed in der Welt der Bosheit so bewandert war wie Albert Einstein in jener der modernen Physik, nur weil sie offenbar nie von einer Ausschweifung erfahren hatte, ohne sie auszuprobieren, nur weil sie bis ins Mark verdorben und schlichtweg wahnsinnig war, hätte das noch lange nicht heißen müssen, dass sie nicht wusste, welches Verhalten in unserer Lage angebracht war. Mich zu beschimpfen und auf mich zu schießen, musste unweigerlich die Biester anlocken.
    Die meisten mordlüsternen Geisteskranken sind zwar nicht gerade weise, aber immerhin gerissen. Sie sind so sehr darauf bedacht, zu überleben, wie sie sich darum bemühen, eine Jungfrau zum Köpfen oder ein Kind zum Erwürgen zu finden. Das laute Geballer von Mrs. Tameed war jedoch nicht nur töricht, es war schlichtweg bescheuert. Am liebsten hätte ich ihr das auch manuell unter die Nase gerieben.
    Sie schoss erneut. Auf eine Entfernung von fast zwanzig Metern muss man ein exzellenter Schütze sein, um sein Ziel zu treffen, vor allem wenn die Lichtverhältnisse nicht optimal sind. Kein Wunder also, dass sie uns verfehlte.
    Ich konnte sie aus dieser Entfernung auch nicht treffen, nicht zuletzt, weil ich ja nur im äußersten Notfall zu Schusswaffen greife, obwohl mir oft keine andere Wahl bleibt.
    Ihr dritter Schuss schwirrte wie eine Wespe an meinem rechten Ohr vorbei, knapp – und ohne mich zu stechen.
    Auf die Gefahr hin, einen Glückstreffer in die Wirbelsäule zu kriegen, wandte ich der Amazone den Rücken zu und zog Timothy zu der zweiten Personaltür in der Täfelung, die ich von meinem letzten Besuch her kannte. Als wir sie fast erreicht hatten, schwang sie langsam auf, und ich zog Timothy rasch zu der Seite, auf der das Türblatt uns verbarg.
    Ich konnte zwar nicht gleich sehen, wer hereingekommen war, doch ein tiefes Knurren ließ keinen Zweifel daran, dass der Besucher fiese gelbe Augen hatte. Als er zwei Schritte in den Raum trat, wurde sein breiter, muskulöser Rücken sichtbar.
    Die Tür schwang ganz langsam wieder zu, wodurch Timothy und ich allmählich unseren Schutz

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