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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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wie seine weiße Uniform.
    Ich öffnete die Tür. »Es dämmert noch nicht mal. Vielleicht schleicht draußen noch ein Puma herum und versucht sich an den Türen.«
    »Mmmmm«, sagte der Koch, als wäre er weiterhin so von seiner Arbeit abgelenkt gewesen, dass er mir kaum Aufmerksamkeit schenkte.
    Ich trat hinaus, zog hinter mir die Tür zu und ging über die Terrasse bis zum Beginn der Treppenstufen. Dort blieb ich stehen und blickte zum Mausoleum hinauf, bis ich hörte, wie der Koch die beiden Schlösser verriegelte.
    Nun, da die Dämmerung in wenigen Minuten hinter den Bergen im Osten hervorsteigen würde, erscholl der Schrei des angeblichen Seetauchers ein letztes Mal aus einer entfernten Ecke des riesigen Anwesens.
    Der klagende Klang rief mir ein Bild aus meinem Traum über Auschwitz ins Gedächtnis, aus dem mich der erste Schrei der Nacht geweckt hatte: Hungrig und geschwächt, wie ich es bin, mühe ich mich mit einer Schaufel ab, voll Furcht, zweimal zu sterben, was immer das bedeuten mag. Ich grabe nicht schnell genug, um den Wachposten zufrieden zu stellen, der mir die Schaufel aus den Händen kickt. Die Stahlkappe seines Stiefels schneidet mir in die rechte Hand, aus der zu meinem Schrecken kein Blut fließt, sondern pulvrige graue Asche ohne einen einzigen glühenden Funken, nur kalte, graue Asche, die aus mir herausströmt, unablässig …
    Während ich zum Eukalyptuswäldchen zurückging, verblassten die Sterne im Osten, und der Himmel färbte sich mit dem ersten schwachen Morgenlicht.
    Annamaria, die Glockendame, und ich waren erst seit drei Nächten und zwei Tagen zu Gast in Roseland, doch ich ahnte, dass unsere Zeit hier sich rasch dem Ende zuneigte und dass unser dritter Tag gewaltsam enden würde.

4
    Zwischen Geburt und Begräbnis wandern wir durch eine Komödie der Geheimnisse.
    Falls ihr meint, das Leben sei nicht geheimnisvoll, und falls ihr glaubt, ihr hättet alles voll und ganz kapiert, dann passt ihr entweder nicht auf, oder ihr habt euch mit Alkohol, Drogen oder irgendeiner tröstlichen Ideologie betäubt.
    Und falls ihr meinen solltet, das Leben sei keine Komödie – dann, liebe Freunde, könnt ihr am besten gleich zu eurem Begräbnis eilen. Wir anderen brauchen Leute, mit denen wir lachen können.
    Bei Anbruch der Dämmerung im Gästeturm angekommen, erklomm ich die Wendeltreppe zum Obergeschoss, wo Annamaria mich erwartete.
    Die Glockendame hat zwar einen trockenen Humor, ist jedoch eher geheimnisvoll als komödiantisch.
    Als ich an ihre Tür klopfte, schwang diese auf, als hätte die leichte Berührung meiner Fingerknöchel auf dem Holz ausgereicht, um das Schloss zu entriegeln und die Angeln in Bewegung zu setzen.
    Die beiden schmalen, tiefen Fenster waren so mittelalterlich wie jene, durch die Rapunzel ihr langes Haar zu Boden gelassen hatte. Sie ließen die Morgensonne nur spärlich ein.
    Im Licht einer bronzenen Stehlampe mit einem Schirm aus buntem Glas, in dem verschlungene gelbe Rosen leuchteten, saß Annamaria an einem kleinen Esstisch. Ihre zarten Hände umschlossen einen Becher.
    »Ich hab dir Tee eingegossen, Oddie«, sagte sie und zeigte auf einen zweiten Becher, aus dem Dampf aufstieg. Obwohl ich mich gerade erst entschlossen hatte, sie zu besuchen, hatte sie genau gewusst, wann ich kommen würde.
    Noah Wolflaw behauptete, er habe neun Jahre nicht geschlafen, was höchstwahrscheinlich geschwindelt war. In den vier Tagen, die ich Annamaria nun kannte, war sie jedoch immer wach gewesen, wenn ich mit ihr sprechen musste.
    Auf dem Sofa lagen zwei Hunde, darunter ein Golden Retriever, dem ich den Namen Raphael gegeben hatte. Er war ein guter Kerl, der sich mir in Magic Beach angeschlossen hatte.
    Das zweite Tier, ein weißer Schäferhundmischling namens Boo, war ein Geisterhund und das einzige nach seinem Tod auf Erden verweilende Exemplar seiner Art, das ich je gesehen hatte. Er begleitete mich seit meiner Zeit im Kloster St. Bartholomew, wo ich eine Weile zu Gast gewesen war, bevor es mich nach Magic Beach verschlagen hatte.
    Für einen jungen Mann, der seine Heimatstadt so liebte wie ich Pico Mundo, der Einfachheit, Stabilität und Tradition schätzte und an den Freunden hing, mit denen er aufgewachsen war, hatte ich mich allzu sehr zum Zigeuner entwickelt.
    Selber ausgesucht hatte ich mir das nicht. Die Ereignisse hatten für mich die Wahl getroffen.
    Ich gehe tastend meinen Weg zu etwas hin, das meinem Leben Sinn verleihen wird, und ich erfahre unterwegs, wohin ich gehen

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