Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
sicher«, sagte sie, »aber es ist jemand hier, der in großer Gefahr ist und dich dringend braucht.«
    »Wer?«
    »Vertrau darauf, dass dein Talent dich leitet.«
    »Du erinnerst dich doch an die Frau auf dem Pferd, von der ich dir erzählt habe? Gestern hatte ich eine ziemlich gespenstische Begegnung mit ihr. Es ist ihr gelungen, mir klarzumachen, dass ihr Sohn hier ist. Neun bis zehn Jahre alt. Er ist in Gefahr, allerdings weiß ich nicht, inwiefern oder weshalb. Ist er es, dem ich helfen soll?«
    Annamaria zuckte die Achseln. »Über alles und jedes weiß ich nicht Bescheid.«
    Ich leerte meinen Becher Tee. »Ich glaube zwar nicht, dass du je lügst, aber eine direkte Antwort gibst du mir irgendwie auch nie.«
    »Wer zu lange in die Sonne starrt, wird geblendet.«
    »Wieder ein Rätsel.«
    »Das ist kein Rätsel, sondern eine Metapher. Ich sage dir die Wahrheit auf Umwegen, denn wenn ich sie direkt aussprechen würde, dann würde sie dich durchbohren, wie grelle Sonne die Netzhaut verbrennen kann.«
    Ich schob meinen Stuhl zurück. »Aha. Ich hoffe bloß, dass du dich nicht als eine von diesen New-Age-Spinnerin entpuppst.«
    Sie lachte leise. Das war das musikalischste Geräusch, das ich je gehört hatte.
    Weil die Schönheit ihres Lachens meine Bemerkung reichlich grob erschienen ließ, sagte ich: »War nicht bös gemeint.«
    »Hab ich auch nicht so empfunden. Du sprichst immer aus dem Herzen, und das ist ganz in Ordnung so.«
    Als ich aufstand, wedelten die Hunde wieder mit dem Schwanz, aber keiner der beiden machte Anstalten, mich zu begleiten.
    »Übrigens«, sagte Annamaria, »brauchst du keine Angst davor zu haben, zweimal zu sterben.«
    Wenn sich die Bemerkung nicht auf meinen Albtraum über Auschwitz bezog, hätte es sich um einen ausgesprochen unheimlichen Zufall gehandelt.
    »Woher kennst du meine Träume?«, fragte ich.
    »Ist diese Angst denn etwas, das dich im Traum verfolgt?«, fragte sie, womit es ihr wieder gelang, einer direkten Antwort auszuweichen. »Dann sollte das nicht so sein.«
    »Was bedeutet das überhaupt – zweimal zu sterben?«
    »Das wirst du rechtzeitig begreifen. Aber von allen Menschen in Roseland, in dieser Stadt, diesem Staat und diesem Land bist du vielleicht der Letzte, der sich Sorgen machen muss, zweimal zu sterben. Du wirst nur ein einziges Mal sterben, und es wird der Tod sein, der nicht von Bedeutung ist.«
    »Jeder Tod ist von Bedeutung.«
    »Nur für die Lebenden.«
    Seht ihr nun, weshalb ich mich bemühe, mein Leben einfach zu gestalten? Wäre ich zum Beispiel ein Steuerberater, der erstens die gesamten Finanzen seiner Kunden im Kopf behalten müsste, zweitens die Geister der zögerlichen Toten sähe und drittens auch noch Annamarias Kommentare entschlüsseln müsste, dann würde mir dieser Kopf wahrscheinlich platzen.
    Das Muster der gelben Rosen auf dem Lampenschirm spielte über Annamarias Gesicht.
    »Nur für die Lebenden«, wiederholte sie.
    Wenn ich ihr in die Augen sah, dann brachte mich manchmal etwas dazu, den Blick wieder abzuwenden, während mein Herz angstvoll schneller schlug. Das war keine Angst vor ihr, sondern Angst vor … etwas, das ich nicht benennen konnte. Hilflos spürte ich, wie mir schwer ums Herz wurde.
    Nun wanderte mein Blick von Annamaria zu den auf dem Sofa lümmelnden Hunden.
    »Ich bin vorläufig in Sicherheit«, sagte sie, »du hingegen nicht. Falls du daran zweifeln solltest, dass dein Handeln richtig ist, dann kannst du hier in Roseland sterben, deinen einzigen Tod.«
    Unwillkürlich hatte ich mir mit der rechten Hand an die Brust gegriffen, um das Glöckchen unter meinem Pulli zu betasten.
    Als ich sie auf dem Pier von Magic Beach getroffen hatte, da hatte Annamaria an einem Silberkettchen ein fein ziseliertes Glöckchen um den Hals getragen, so groß wie ein Fingerhut. Es war das Einzige gewesen, was an jenem sonnenlosen, grauen Tag hell geglänzt hatte. Kaum eine Woche war das her.
    In einem Augenblick, der seltsamer gewesen war als alle anderen, die ich seither mit dieser Frau erlebt hatte, hatte sie sich die Kette mit dem Glöckchen vom Hals genommen, mir hingestreckt und mich gefragt: »Bist du bereit, für mich zu sterben?«
    Noch seltsamer war, dass ich Ja gesagt und das Geschenk entgegengenommen hatte, obwohl ich sie kaum kannte.
    Mehr als achtzehn Monate vor jenem Tag, in Pico Mundo, hätte ich mein Leben hingegeben, um Stormy Llewellyn zu retten, meine Liebste. Ohne zu zögern, hätte ich mich in die Kugeln geworfen, die

Weitere Kostenlose Bücher