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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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dabei.
    Vor hundert Jahren hätte man Annamaria vielleicht als charismatisch bezeichnen können. Aber in einer Zeit, in der banale Filmstars und die neuesten Reality- TV -Affen angeblich Charisma hatten, bedeutete das Wort nichts mehr.
    Außerdem verlangte Annamaria von niemandem, ihr zu folgen, wie es ein Sektenguru getan hätte. Stattdessen weckte sie in ihrer Umgebung das Bedürfnis, sie zu beschützen.
    Sie behauptete, keinen Familiennamen zu besitzen, und obwohl mir nicht klar war, wie sie das zustande gebracht hatte, zweifelte ich es nicht an. Zwar war sie oft undurchschaubar, aber dennoch glaubte ich, dass sie nie log. Beweise brauchte ich dafür nicht, nur Vertrauen, und das hatte ich.
    »Ich hab den Eindruck, wir sollten Roseland sofort verlassen«, sagte ich.
    »Darf ich nicht mal meinen Tee austrinken? Muss ich postwendend aufspringen und zum Tor rennen?«
    »Das meine ich ernst. Irgendwas stimmt hier überhaupt nicht.«
    »Das wird auch an jedem anderen Ort, an den wir kommen, der Fall sein.«
    »Aber nicht so sehr wie hier.«
    »Und wo sollen wir hin?«, fragte sie.
    »Irgendwohin.«
    Ihre sanfte Stimme nahm nie einen schulmeisterlichen Tonfall an, obwohl normalerweise ich es war, der sich belehren lassen musste. Das tat sie jedoch ebenso geduldig wie liebevoll. »Irgendwo ist überall. Wenn es egal ist, wo wir hin wollen, dann kann es bestimmt nicht sinnvoll sein aufzubrechen.«
    Ihre Augen waren so dunkel, dass ich keinen Unterschied zwischen Iris und Pupille erkennen konnte.
    »Man kann nur an einem Ort zur selben Zeit sein, du komischer Kauz«, sagte sie. »Deshalb kommt es darauf an, dass man aus dem richtigen Grund am richtigen Ort ist.«
    Vor Annamaria hatte nur Stormy Llewellyn mich »komischer Kauz« genannt.
    »Meistens hab ich den Eindruck, dass du in Rätseln sprichst«, sagte ich.
    Ihr Blick war so fest, wie ihre Augen dunkel waren. »Meine Mission und dein sechster Sinn haben uns hierher geführt. Roseland war ein Magnet für uns. Wir hätten nirgendwo anders hinkönnen.«
    »Deine Mission. Worin besteht die?«
    »Das wirst du rechtzeitig erfahren.«
    »In einem Tag? Einer Woche? In zwanzig Jahren?«
    »Alles zu seiner Zeit.«
    Ich sog den Pfirsichduft des Tees ein, atmete seufzend aus und sagte: »An dem Tag, an dem wir uns in Magic Beach getroffen haben, da hast du gesagt, zahllose Leute wollten dich umbringen.«
    »Die sind durchaus gezählt worden, aber es sind so viele, dass du die Zahl genauso wenig wissen musst wie die Zahl der Haare auf deinem Kopf, um sie zu kämmen.«
    Sie trug Sneakers, Khakihosen und einen beigefarbenen Schlabberpulli, dessen Ärmel zu lang für sie waren. Die dicken, hochgeschlagenen Ärmel betonten die Zartheit ihrer schlanken Handgelenke.
    Nachdem Annamaria aus Magic Beach nichts mitgenommen hatte als die Kleider, die sie am Leib trug, war sie erst einen Tag in Roseland gewesen, als Mrs. Tameed, die Haushälterin, einen Koffer gekauft, ihn mit mehreren Garnituren gefüllt und im Gästehaus deponiert hatte, obwohl sie von niemandem darum gebeten worden war.
    Auch ich hatte keine Sachen mitgebracht als das, was ich am Leib trug. Niemand hatte mir auch nur ein Paar Socken besorgt. Ich hatte das Anwesen für einige Stunden verlassen und in die Stadt fahren müssen, um mir Jeans, Pullis und Unterwäsche zu kaufen.
    »Vor vier Tagen hast du mich gefragt, ob ich dafür sorgen will, dass du am Leben bleibst«, sagte ich. »Die Aufgabe machst du mir schwerer, als es sein müsste.«
    »In Roseland will niemand mich ermorden.«
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    »Hier weiß man nicht, was ich bin. Wenn man mich tötet, werden meine Mörder Leute sein, die wissen, was ich bin.«
    »Und was bist du?«, fragte ich.
    »In deinem Herzen weißt du das bereits.«
    »Und wann wird das auch mein Gehirn herausbekommen?«
    »Du weißt es, seit du mich zum ersten Mal auf jenem Pier gesehen hast.«
    »Vielleicht bin ich nicht so clever, wie du meinst.«
    »Du bist mehr als clever, Oddie. Du bist weise. Aber du hast auch Angst vor mir.«
    »Ich hab vor vielem Angst«, sagte ich überrascht, »aber nicht vor dir.«
    Ihr Amüsement war zärtlich und ohne jede Herablassung. »Mit der Zeit, junger Mann, wirst du dir deiner Angst bewusst werden, und dann wirst du wissen, was ich bin.«
    Gelegentlich nannte sie mich »junger Mann«, obwohl sie achtzehn war und ich fast zweiundzwanzig. Das hätte merkwürdig klingen sollen, doch das tat es nicht.
    »Vorläufig bin ich in Roseland

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