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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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Hund nicht verspotten, weil er ein Hund ist, und wenn man es doch versucht, macht man sich selbst zum Gespött. Mich für einen hübschen Knaben zu halten, lag offenbar daran, dass der Sicherheitschef mich mit sich selbst verglich. Er schätzte seine tatsächlich etwas unglückliche Erscheinung also viel zu negativ ein, und das war es, was ich ziemlich traurig fand.
    In diesem Fall bedeutete der Ausdruck hübsches Jüngelchen womöglich noch etwas anderes, als man meinen mochte. Manchmal drückt jemand sich verschlüsselt aus, oft ohne sich dessen klar zu sein, wodurch er für sich selbst ebenso unverständlich ist wie für andere. Angesichts meines durchschnittlichen Aussehens besaß ich vielleicht irgendeinen anderen Pluspunkt, den Mr. Sempiterno erkannte, der ihm selbst aber fehlte – weshalb er mich beneidete. Wenn ich herausbekam, was dieser Pluspunkt war, half mir das eventuell dabei, den Dingen in Roseland auf die Schliche zu kommen.
    Während der Sicherheitschef den Hang hinauffuhr, beschloss ich, weiter der Mauer zu folgen, mich nun jedoch dem dritten und letzten Aspekt meiner besonderen Wahrnehmung zu überlassen.
    Abgesehen von gelegentlichen prophetischen Träumen und meiner Fähigkeit, die Geister der auf Erden verweilenden Toten zu sehen, besitze ich etwas, das Stormy Llewellyn als »übersinnlichen Magnetismus« bezeichnet hat. Wenn ich eine Person lokalisieren muss, deren momentanen Aufenthaltsort ich nicht kenne, konzentriere ich mich auf ihren Namen oder ihr Gesicht, überlasse mich meinen Impulsen und meiner Intuition und lasse mich treiben – zu Fuß, auf dem Skateboard, mit einem Auto, ganz egal – , bis ich am Ziel bin. Meistens werde ich innerhalb einer halben Stunde zu der betreffenden Person geführt.
    Diese Methode ist zwar meistens, aber nicht immer erfolgreich, und ich kann weder kontrollieren noch vorhersehen, wo und wann die Begegnung stattfinden wird. Hätte ich meine paranormalen Fähigkeiten in einem Laden gekauft, so wäre das eher beim Discounter als im Fachgeschäft gewesen.
    Momentan hatte ich weder einen Namen noch ein Gesicht, um mich darauf zu konzentrieren. Ich konnte nur Annamarias Worte – Es ist jemand hier, der in großer Gefahr ist und dich dringend braucht – in mir ablaufen lassen wie ein Endlosband und hoffen, dass ich dadurch früher oder später zu der betreffenden Person gezogen wurde.
    Da jeder mir warnend nahelegte abzureisen und ich den merkwürdigen Rat bekommen hatte, den Tod zu suchen, wenn ich überleben wollte, lief die mir für meine Aufgabe verbleibende Zeit offenbar so rasch davon wie Sand aus einer zerbrochenen Sanduhr. Ich hatte schon früher manchmal versagt, auch beim Tod der Frau, die ich mehr liebte als das Leben selbst. Jedes Scheitern höhlt mein Herz ein wenig mehr aus, und kein Erfolg kann diese Leere wieder füllen. Wahrscheinlich werde ich nicht durch die Hand irgendeines Schurken sterben, sondern tot umfallen, wenn die Wände meines Herzens in die Leere stürzen, die sie umschließen. Noch einmal zu scheitern, konnte ich nicht ertragen. Wenn die Zeit knapp war, musste ich daher schneller sein als sie.
    Es ist jemand hier, der in großer Gefahr ist und dich dringend braucht.
    Ich ging zu der Stelle zurück, an der die Eichen ihre Äste über die Mauer streckten.
    Da kam aus den Baumschatten plötzlich der große schwarze Hengst gestürmt, bäumte sich vor mir auf und schlug mit seinen Hufen in die Luft.
    Auf dem Pferd saß barfuß die blonde Frau und deutete auf mich, wie sie es am Abend vorher getan hatte. Nun war ihr Gesicht jedoch nicht qualvoll, sondern von Angst verzerrt.
    Sosehr sie sich auch davor fürchten mochte, ins Jenseits hinüberzuwechseln – auf dieser Welt hatte sie nichts mehr zu fürchten. Ich wusste daher, dass sie um mich Angst haben musste und gekommen war, um mich vor einer Bedrohung zu warnen, die konkreter war als die vage Gefahr, von der Henry Lolam und Paulie Sempiterno gesprochen hatten.
    Als der pechschwarze Hengst wieder auf allen vieren stand und mit seinem langen Schwanz lautlos hin und her peitschte, richtete die Frau ihren Blick auf etwas, das sich hinter mir befand. Ihr Gesicht drückte nun eher Abscheu als Furcht aus, und ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schreckensschrei.
    Ich blickte mich um, sah jedoch nur das nach Norden hin ansteigende Gelände und die erste Baumgruppe, in deren Nähe ich auf die Mauer geklettert war. Das kniehohe, trockene Gras ringsum leuchtete in der Morgensonne so golden

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