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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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wie das Haar der Frau.
    Dennoch überkam mich ein unheimliches Gefühl, ähnlich wie jenes, das uns alle erzittern lässt, wenn wir im Briefkasten einen nicht bestellten Umschlag mit der Adresse des Finanzamts entdecken. Ich hatte fast den Eindruck, wenn ich den Kopf in einem bestimmten Winkel neigen und durch das Sonnenlicht hindurch auf die noch viele Stunden entfernte Dämmerung blicken könnte, würde ich sehen, was der Geist sah.
    Als ich mich wieder nach Pferd und Reiterin umwandte, standen sie nicht mehr direkt vor mir, sondern ein Stück weit entfernt zwischen den Bäumen. Die Frau sah mich an und winkte eindringlich mit dem rechten Arm.
    Niemand weiß besser als ich, dass die Realität komplexer ist, als es die fünf Sinne wahrnehmen können. Unsere Welt mit all ihren Geheimnissen ist nur der Satellit einer größeren, geheimnisvolleren und unsichtbaren Welt. Die Umlaufbahnen dieser beiden Körper sind sich so nahe, dass sie sich womöglich manchmal schneiden, wobei kein Schaden entsteht, aber äußerst merkwürdige Effekte.
    Ich wagte es nicht, mir die Zeit zu nehmen, noch einmal in die andere Richtung zu blicken. Stattdessen rannte ich auf Ross und Reiterin zu.

12
    Das Gewölbe der Eichbäume über mir erinnerte mich an Kirchenfenster. Es bot jedoch mehr Blei als buntes Glas und mehr Dunkelheit als Licht in den goldenen und grünen Mustern, die man sich als eine abstrakte Darstellung des Gartens Eden denken konnte.
    Während das schwarze Pferd unter den riesigen Bäumen dahintrottete, wurde es fast unsichtbar. Nur sein Fell schimmerte, sobald das Licht darüber strich. Die Frau hingegen, der ich folgte, war weiterhin leicht zu sehen. Ihr weißes Seidengewand blühte auf, wenn die Sonne es erfasste, gab jedoch auch im Dunkeln ein feines Leuchten von sich.
    Ich weiß nicht, wieso das Spiel von Licht und Schatten auch Geister erfasst und sie so verbirgt und enthüllt wie lebende Menschen und alles andere auf dieser Welt. Geister besitzen eigentlich keine Substanz, um Licht zu reflektieren, und keine Oberfläche, auf die Schatten hätte fallen können.
    Ein Psychiater würde vielleicht sagen, diese Eigenschaft der Erscheinungen sei der Beweis, dass sie nicht übernatürlicher Natur seien. Deshalb müsse es sich um Wahnvorstellungen handeln, und mir fehle einfach die Fantasie, mir Geister vorzustellen, auf die Licht und Schatten keine Wirkung hätten. Bei echten Geistern – falls solche überhaupt existierten – müsse das nämlich der Fall sein.
    Ich wiederum frage mich manchmal, wieso Leute, die Theorien über den menschlichen Geist aufstellen, so leicht an die Existenz von Dingen glauben, die sie weder sehen noch messen oder in irgendeiner vernünftigen Form beweisen können – wie etwa das Ich, das Es und das unbewusste Selbst. Dennoch bezeichnen sie Leute, die glauben, der Körper habe eine Seele, als abergläubisch.
    Neben einem der Bäume brachte die Frau ihr Pferd zum Stehen. Als ich sie eingeholt hatte, deutete sie direkt hinauf in das Astwerk der großen Eiche. Das war eindeutig eine Aufforderung, da hinaufzuklettern.
    Die Angst in ihrem Gesicht – Angst um mich – war auch im Mosaik von Licht und Schatten deutlich sichtbar.
    Ich war früher zwar auf einige böswillige Geister gestoßen, die sich als Poltergeist gebärdet und allerhand Zeug durch die Gegend geschleudert hatten, zum Beispiel Möbel und tiefgefrorene Truthähne. Dagegen erinnerte ich mich nicht daran, dass auch nur einer der zögerlichen Toten versucht hätte, mich hinters Licht zu führen. Die Fähigkeit dazu legte man zusammen mit dem Körper offenbar endgültig ab.
    Da die Frau zu wissen schien, dass mir etwas Grässliches drohte, rannte ich gehorsam zum Baum und stieg hinauf. Raue Rinde unter den Händen, kletterte ich vom Stamm auf den untersten Ast, von dort zum nächsten und zum übernächsten … bis zur ersten Gabelung, die sich gut vier Meter über dem Boden befand.
    Als ich durch die Äste nach unten spähte, sah ich die Stelle, an der Ross und Reiterin erschienen waren. Beide waren fort.
    Als Geister konnten sie natürlich nach Belieben erscheinen und wieder verschwinden, und da weder Pferd noch Frau sprechen konnten, teilten sie mir nicht mit, was sie gerade vorhatten.
    In die Gabelung geklemmt, kam ich mir bald töricht vor. Als ausgewiesenes Mitglied der menschlichen Spezies verfüge ich über eine unerschöpfliche Quelle von Torheit und einen perversen Durst darauf. Nur weil ich bisher noch nie auf einen Geist

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