Schwarze Fluten - Roman
Pistole gehalten wurde, hatte lange, stumpfe Finger, zwischen deren Knöcheln struppige schwarze Härchen wucherten. Die Visage des Kerls, dem die Hand gehörte, passte gut dazu: harte, verbissene Gesichtszüge mit Bartstoppeln, die man nicht mal mit einem Holzhäcksler hätte wegrasieren können.
Es handelte sich um Paulie Sempiterno, den Chef der Wachmannschaft von Roseland. Trotz seiner sauber gebügelten grauen Hose, dem weißen Polohemd und dem schicken blauen Blazer sah er aus, als würde er die meiste Zeit in finsteren Gassen verbringen, um anderen Leuten mit einem Baseballschläger die Kniescheiben zu zertrümmern und ihr Gesicht mit einem Kettenmuster zu verzieren.
»Ich mag dich nicht, du hübsches Jüngelchen«, sagte er mit so grober Stimme, dass die pfeifenden Kleiber in den Bäumen hinter ihm verstummten.
Ich war zwar erst einmal auf ihn getroffen und hatte nichts getan, um ihn zu beleidigen, aber er schien es ehrlich zu meinen. Das heißt, er mochte mich tatsächlich überhaupt nicht. Selbst wenn er kein Wort gesagt hätte, wäre seine Verachtung daran zu erkennen gewesen, wie sich seine dicken blauroten Lippen höhnisch von den Zähnen zurückzogen. Letztere sahen kräftig genug aus, um ein Schweinekotelett samt dem Knochen zu zermalmen. Ein weiterer Hinweis auf seine Einstellung war die auf mein Gesicht gerichtete Waffe.
»Wolflaw ist ein verfluchter Idiot«, sagte er. »Das ist er immer schon gewesen, aber so was hätte ich nicht erwartet, nicht mal von ihm. Hausgäste! Und das nicht bloß für eine Übernachtung. Was zum Teufel denkt er sich eigentlich? Da kann er ja gleich eine Hochzeit für dich und dein angebufftes Schätzchen ausrichten! Hundert von euren vertrottelten Verwandten einladen, ein Orchester engagieren und den Gouverneur fragen, ob er so nett sein könnte, ’nen halben Tag lang kein Schmiergeld abzukassieren und stattdessen aus Sacramento einzufliegen, um die Trauung vorzunehmen.«
Gedrungen, breitbrüstig, stiernackig und ungesellig, wie er war, hätte Sempiterno den Prototyp eines starken, schweigsamen Kerls abgeben können, wenn er mal eine Minute die Klappe gehalten hätte.
Aber er war stocksauer, er wollte mir klarmachen, dass er stocksauer war, und er meinte offenkundig, ich sei so schwer von Begriff, dass ich ihn erst verstehen würde, wenn er das wortreich erläutert hatte.
»Außerdem bist du eindeutig kein normaler Hausgast, du hübsches Jüngelchen«, sagte er. »Schaust dich hier um, schaust dich da um, schnüffelst herum, gehst zu den Ställen, erzählst Shilshom was von einem Pferd, wo es hier doch gar kein Pferd gibt, schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr. Und jetzt marschierst du auch noch auf der Mauer durch die Gegend. Wer zum Teufel geht auf einer drei Meter hohen Mauer spazieren? Niemand, ganz recht. Außer dir natürlich. Warum zum Teufel bist du da oben auf der Mauer herumspaziert?«
Da er länger als einen raschen Atemzug pausierte, verstand ich das als Aufforderung, etwas zu erwidern. »Na ja, Sir, von da oben hat man einen schönen Blick. Man sieht viel weiter.«
Er brachte die Pistole näher an mein linkes Auge, um sicherzustellen, dass ich sie nicht vergessen hatte. »Und was ist mit diesem Blick? Gefällt er dir? Ist doch dramatischer als der Grand Canyon, oder? Ich weiß zwar nicht, was du im Schilde führst, du Mauergeher, aber irgendwas hast du vor. Ich mag Leute nicht, die was im Schilde führen. Weißt du, wie hoch meine Toleranzgrenze für Leute ist, die was im Schilde führen?«
»Ziemlich niedrig?«, riet ich und war ziemlich sicher, dass meine Antwort einen Preis gewonnen hatte, falls es überhaupt einen zu gewinnen gab.
»Falsch. Die ist überhaupt nicht vorhanden. Also, was führst du im Schilde?«
»Überhaupt nichts, Sir. Offen gesagt, nütze ich nur die Großzügigkeit von Mr. Wolflaw aus. Er hat einen Narren an der Frau gefressen, mit der ich zusammen bin, und ich betätige mich als Trittbrettfahrer. Könnten Sie wohl die Waffe wegstecken? Ich bin harmlos. Ganz ehrlich.«
Er starrte mich drohend an. Sein Blick hätte Eisbärenhoden schmelzen lassen.
Hätte er ein Fieberbläschen auf der Lippe gehabt, dann wären wir inzwischen Freunde gewesen.
»Ich weiß, du wirst uns noch brutale Scherereien machen«, sagte er. »Am liebsten würde ich dir eine Kugel in die Birne ballern.«
»Ja, Sir, das ist mir bewusst. Ich weiß es zu schätzen. Aber Sie haben eigentlich keinen Grund, mir eine Kugel in den Kopf zu schießen.
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