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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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bodenlos, als könnte die darin verborgene Verzweiflung den Betrachter in Stein verwandeln.
    »Dein Haar ist dunkel, aber deine Mutter war blond.«
    Er starrte mich an, ohne etwas zu sagen.
    »Sie hatte einen großen, schwarzen Friesen, den sie sehr geliebt hat. Und sie war eine gute Reiterin.«
    »Wer du auch bist, vielleicht weißt du schon jetzt zu viel«, sagte der Junge, womit er zu bestätigen schien, was der Geist der Frau angedeutet hatte. »Erzähl denen bloß nichts von ihr. Geht fort, solange er euch vielleicht noch gehen lässt. Lange wird das nicht mehr sein. Wenn du meinst, du bist nicht in Gefahr … dann geh zum Mausoleum. Drück auf dem Mosaik dort auf den Schild, den der Schutzengel in die Höhe hält.«
    Seine Augen verdrehten sich so stark, bis sein Blick so blind war wie der einer Marmorstatue. Dabei glitte n die Hände von den Armlehnen und blieben nach oben gewandt auf seinem Schoß liegen.
    Entweder konnte er willentlich in diese Trance verfallen, oder der Zustand überfiel ihn wie ein epileptischer Anfall. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass er sich bewusst entschieden hatte, in sein Inneres zu reisen – falls er das wirklich tat – und dadurch den Kontakt mit mir zu beenden.
    Eine Weile beobachtete ich ihn. Freiwillig würde er wohl nicht zurückkehren, und es kam mir sinnlos vor, ihn aus seiner Trance zu rütteln und zu versuchen, ihn zur Kooperation zu zwingen.
    Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass der Mensch, der dringend meine Hilfe brauchte, diese zurückweisen würde, wenn ich ihn fand.
    Bevor ich ging, untersuchte ich das Schlafzimmer gründlicher, als es mir bei der Flucht vor Mrs. Tameed möglich gewesen war. Wie beim Wohnzimmer passte die Einrichtung eher zu einem erwachsenen Mann. Auch hier ging es um Jagd und Jagdhunde. Keinerlei Spielzeug. Keine Comicbücher. Keine Filmplakate. Keine Videospielkonsole. Kein Fernseher.
    Dafür war eine Menge Hardcoverbände vorhanden, nicht nur auf dem Tischchen, von dem die Haushälterin das Frühstückstablett genommen hatte, sondern auch auf dem Nachttisch und einer Kommode. Die Autoren waren nicht jene, mit denen Neunjährige sich normalerweise beschäftigten. Ich sah die Namen Faulkner, Balzac, Dickens, Hemingway, Graham Greene, Somerset Maugham …
    Mir kam in den Sinn, dass der Junge hier womöglich gar nicht alleine lebte, sondern gemeinsam mit jemand anderem. Schrank und Kommode enthielten jedoch nur Kleidung für ein Kind. Auch im Bad fand ich nur eine einzelne Zahnbürste vor und nichts, was auf einen Erwachsenen hingedeutet hätte – wie etwa ein elektrischer Rasierer.
    Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, stellte ich mich wieder vor den Jungen, ebenso verwirrt wie sorgenvoll. Er sah so verletzlich aus, und ich wusste, dass ich ihm helfen musste, aber er schien seine Geheimnisse so eifersüchtig zu hüten wie alle Bewohner von Roseland.
    Um Annamaria und mich dazu zu bringen, möglichst rasch abzureisen, hatte er mir immerhin einen Hinweis auf das Mausoleum gegeben.
    Plötzlich fiel mir etwas ein, was Paulie Sempiterno gesagt hatte, nachdem ihm eingefallen war, mir doch keine Kugel in den Kopf zu jagen: Egal, was ihr in Roseland sucht, ihr werdet das Gegenteil finden. Wenn ihr überleben wollt, sucht nach dem Tod.
    Ich beschloss, direkt zum Mausoleum zu gehen, wo die einzigen Toten sauber verpackt als Asche in Urnen ruhten. Das dachte ich jedenfalls.

18
    Wachsam schlich ich mich durch das große Hause in die Küche zurück, doch ich hätte genauso gut singen und tanzen können, denn scheinbar war niemand daheim. Jedenfalls war Mr. Shilshom noch nicht zu seinen Kartoffeln zurückgekehrt. Ich fragte mich, ob die Besprechung in Noah Wolflaws Räumen noch im Gang war.
    Als ich draußen über die Südterrasse zu den Stufen ging, die zum Brunnen führten, sah ich ein Stück weiter oben die gedrungene Gestalt von Mr. Jam Diu, dem Obergärtner. Er stand auf dem Rasen zwischen den gestuften Kaskaden. Mit seinem glatten, freundlichen Buddhagesicht war er vielleicht Vietnamese, was ich jedoch nicht sicher wusste, weil wir uns bisher nur kurz unterhalten hatten. Dabei hatte ich ihm ein Kompliment über den Zustand des Gartens gemacht, und er hatte das Kompliment mit den Worten zurückgegeben, ich habe Geschmack, wenn mir das auffalle.
    Mr. Diu war wahrscheinlich der Einzige unter den Bewohnern von Roseland, der Humor besaß. Falls der Tag sich immer übler entwickelte, was zu erwarten war, würde ich ihn eventuell aufsuchen, um mich ein wenig

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