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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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von Verlust, Versagen oder Furcht verwundet werden, oder wenn wir das Leiden von anderen sehen, denen wir nur Mitleid entgegenbringen, aber nicht helfen können, weil sie rettungslos verloren sind.
    Die Wendeltreppe war wie ein Bohrer, der tief durch die Schichten von Roseland drang. Wenn ein Brunnenbohrgerät sich auf der Suche nach Wasser in Erde und Fels gräbt, dann fördert es gelegentlich Fossilien oder deren Fragmente zutage. Manche stammen von bizarren Kreaturen mit Augen auf Stängeln, Peitschenschwanz und vielgliedrigen Beinen, Tiere, die vor langer Zeit über den Boden des Urmeers gekrochen sind. Siehst du ihre zu Stein gewordene Gestalt, so kommt dir die Erde weniger bekannt als unbekannt vor, und mit einem Frösteln zuckt dir die Ahnung durchs Blut, dass du ein Fremder in einem fremden Land bist. Das einzige Geräusch im zweiten Keller des Mausoleums stammte von meinen Fußtritten auf den Eisenstufen, und in der Stille am Ende der Treppe stieß ich auf eine so bizarre und düstere Szene, als wäre ich auf einem fernen, eine unbekannte Sonne umkreisenden Planeten gelandet.
    Der Raum war etwas höher als der erste Keller, etwa dreieinhalb Meter hoch. Die parallel angeordneten, vergoldeten Zahnräder unterhalb der Decke, die oben und unten in schmalen, versilberten Schienen liefen, nahm ich erst später genauer in Augenschein. Sie waren in den Schienen nicht fixiert, und sie übertrugen auch nicht nur Kraft und Bewegung, sondern bewegten sich selbst durch den Raum, aus einer Öffnung in der Wand in eine andere Öffnung in der Wand gegenüber. Die erste, dritte und fünfte Reihe rollte von Osten nach Westen, die zweite, vierte und sechste Reihe von Westen nach Osten. Eng miteinander verzahnt, drehten die glänzenden Räder sich so lautlos wie die Schwungräder im oberen Keller. Auch hier war nicht erkennbar, wozu sie dienten und was sie antrieben, falls sie überhaupt etwas anderes antrieben als sich selbst.
    Das Geheimnis der Zahnräder war jedoch belanglos angesichts der toten Frauen, die auf dem Boden saßen, den Rücken an die Wand gelehnt.
    Wie ich in mindestens einem weiteren Band dieser fortlaufenden Memoiren geschrieben habe, werde ich nicht alles erzählen, was ich gesehen habe. Das gilt auch für die Szene in diesem Raum, die ebenso obszön wie grauenhaft war. Unschuldigen Toten jedoch gebührt ihre Würde.
    Und wie furchtbar dieses Verbrechen war, kann durch die Zahl der Opfer nicht ausgedrückt werden, denn jede dieser Frauen war etwas Besonderes, wie es jeder Mensch ist, der je geboren wurde. Was man jeder einzelnen angetan hatte, war eine so monströse Ungerechtigkeit und ein solcher Frevel, dass es mir wegen der schieren Bosheit richtig schwer ums Herz wurde. Jedes der Opfer verlangte die Hinrichtung dessen, der dafür verantwortlich war. Als ich die Leichen später zählte, kam ich auf vierunddreißig.
    Dennoch war der Raum so geruchlos wie still … und das war nicht einmal das Rätselhafteste an dem Anblick.
    Alle Frauen waren nackt und saßen Seite an Seite auf dem Boden, den Rücken an der Betonwand. Äußerlich entsprachen sie alle einem bestimmten Typ. Sie waren blond, einige mit kürzerer Frisur, die meisten jedoch mit Haaren, die bis zur Schulter oder noch weiter herabfielen. Manche waren vielleicht erst sechzehn, keine sah älter aus als Ende zwanzig. Sehr schön waren sie einst gewesen, mit feinen Gesichtszügen. Ihre Augen waren blau, blaugrau oder blaugrün und weit offen, manche, weil der Tod sie so ereilt hatte, andere, weil Nadeln die Augenlider daran hinderten, sich zu schließen.
    Unter der Decke drehten sich lautlos die goldenen Zahnräder, während die zum Geist gewordene Reiterin im Nachtgewand mich durch den Raum führte. Dabei fiel mir immer stärker die Ähnlichkeit auf, die zwischen ihr und den toten Frauen bestand.
    Vielleicht war sie das erste Opfer gewesen, und der Mörder hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, sie einmal zu töten. Deshalb hatte er Stellvertreterinnen gesucht, die ihr ähnelten, und sie nacheinander getötet, als würde er die Frau im Nachtgewand noch einmal töten.
    Offenbar klammerte sich keine der toten Frauen hartnäckig an diese Welt, denn bis auf die Reiterin und ihr treues Pferd hatte ich keine weiteren Geister in Roseland gesehen. Dafür, dass sie sich rasch ins Jenseits begeben hatten, war ich dankbar, denn wenn der Keller mit ihren gepeinigten, flehenden Geistern gefüllt gewesen wäre, dann hätte ich das womöglich nicht

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