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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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anzueignen.
    »Es ist bloß so, der arme Henry ist ein wirklich netter Mensch, er ist wie ein Bruder für mich, aber er gehört zu den Leuten … also, dem könnte man die ganze Welt schenken, und er wäre trotzdem unzufrieden, weil man ihm nicht auch noch den Mond geschenkt hätte.«
    »Er wünscht sich, dass Aliens kommen und ihn unsterblich machen.«
    »Was hat er bloß? Wieso kann er nicht zufrieden sein mit allem, was er hat?«
    »Tja, wieso wohl?«, psalmodierte ich, als würde Henry mich ebenfalls zur Verzweiflung bringen.
    »Noah ist ein großartiger Mensch, einer der größten Menschen, die je geboren wurden.«
    »Ich dachte, er hat einen Hedgefonds gemanagt?«
    Während dieses Satzes ging die Tür auf. Herein kam der große, hagere Mann mit Schnurrbart und dunklem Anzug, der mir mitgeteilt hatte, er habe mich gesehen, wo ich nicht gewesen sei, und zähle auf mich. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen waren dunkel, brannten jedoch vor fiebriger Erregung. Es war der wohl intensivste Blick, den ich je gesehen hatte, so durchdringend, dass ich nicht allzu überrascht gewesen wäre, wenn er mein Hirn im Schädel zum Kochen gebracht hätte.
    Er kam auf mich zu und streckte mir flehend seine knochige Hand entgegen. »Ich habe das alles nicht gewollt«, sagte er.
    Statt meine Hand zu ergreifen, die ich ihm reflexartig geboten hatte, ging der Mann durch mich hindurch. Wie ein Geist. In dem kurzen Moment, in dem wir uns am selben Ort befanden, schien elektrischer Strom von meiner Körpermitte in jede Extremität zu schießen. Das tat nicht weh und kribbelte auch nicht, machte mir jedoch die Nervenbahnen bewusst, über die ich Schmerz und Vergnügen empfand, Wärme und Kälte, Glattes und Raues und das, was ich hörte und sah, roch und schmeckte. Der Weg, den jeder Nerv in meinem Körper nahm, stand mir so deutlich vor Augen wie die Straßen auf einer Landkarte. Kein Geist hätte eine derartige Wirkung haben können.
    Als der Mann mich durchschritten hatte, ging er weiter, verblasste jedoch nach zwei Schritten mitten im Raum. Obwohl er verschwunden war, erklangen noch vier Worte in seinem seltsamen Akzent: »Leg den Hauptschalter um.«
    Victoria Mors hatte den Kopf dorthin gedreht, wo die Erscheinung verschwunden war. Nun sah sie mir in die Augen.
    Keiner von uns beiden sprach ein Wort, aber sie musste gar nichts sagen; ich wusste auch so, dass sie dem hageren Mann schon einmal begegnet war. Ich musste ebenfalls nichts sagen, denn ihr wurde auch so klar, dass ich genug über Roseland wusste, um von dieser bizarren Begegnung nicht geschockt zu sein. Genug, um eine tödliche Gefahr für alle, die hier lebten, darzustellen.
    Mit einem rechten Aufwärtshaken erwischte ich sie am Kinn, dann ließ ich eine Linke folgen, die sie leicht seitlich über dem rechten Auge traf. Sie plumpste auf den Boden wie ein Sack Schmutzwäsche.

28
    Ich war nicht stolz auf mich. Schämen wollte ich mich zwar auch nicht so richtig, aber ich war dankbar, dass es in der Waschküche keinen Spiegel gab, das gebe ich gern zu.
    Eine Frau hatte ich noch nie geschlagen. Außerdem war Victoria nicht nur eine Frau, sie war auch kleiner als ich. Und sie war nicht nur eine Frau und kleiner als ich, sondern auch recht hübsch auf eine niedliche, elfenhafte Weise, weshalb ich mir vorkam, als hätte ich gerade eine kleine Fee verprügelt. Ja, ich weiß, Feen und Elfen sind etwas anderes, aber so fühlte ich mich eben.
    Oddboy, Oddboy, in was bist du da bloß wieder hineingeraten?, fragte ich mich überflüssigerweise.
    Ich tröstete mich mit der Annahme, dass sie die dunkelsten Geheimnisse von Roseland kannte und daher ein schlimmes Mädchen sein musste. Schließlich konnte sie nicht hier arbeiten, ohne etwas von der grausigen Sammlung toter Frauen im Keller des Mausoleums zu wissen, der vom Flur mit der Waschküche aus leicht erreichbar war.
    Schlimmer noch, sie war offenbar in Noah Wolflaw verliebt oder bewunderte ihn zumindest. Welche Art von Persönlichkeit, Hausangestellte oder nicht, konnte wohl zärtliche Gefühle für jemanden hegen, der Frauen folterte und ermordete?
    Ich öffnete ihren Mund, um mich zu vergewissern, dass sie sich bei meinem Aufwärtshaken nicht brutal auf die Zunge gebissen hatte. Es war kein Blut zu sehen, allerdings bekam sie sicher üble blaue Flecken und heftige Kopfschmerzen. Das tat mir leid, wenn auch wahrscheinlich nicht so leid, wie es mir hätte tun sollen.
    In einer Ecke der Waschküche stand ein Bügeltisch mit

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