Schwarze Fluten - Roman
zunehmend grotesken Welt von Roseland vor.
Victoria Mors sortierte Kleidung und Bettzeug, wobei sie die einzelnen Stücke auf zwei verschiedene Waschmaschinen verteilte. Noch war keine der Maschinen in Betrieb, weshalb ich von keinem Geräusch darauf vorbereitet worden war, dass mich hier eine Überraschung erwartete.
Die Hausangestellte war so erschrocken, mich zu sehen, wie ich verblüfft war, sie vor mir zu haben. Reglos standen wir da und starrten uns mit offenem Mund an wie zwei Figuren in einer Kuckucksuhr, die plötzlich stehen geblieben war, nachdem die Türchen sich geöffnet hatten.
Wie Henry Lolam und Paulie Sempiterno hielt bestimmt auch Victoria es für ebenso unverantwortlich wie unerklärlich, dass Noah Wolflaw Annamaria und mich eingeladen hatte. Während ich nach Worten suchte, überlegte sie sich offenkundig, ob sie einen Alarmschrei ausstoßen sollte, denn schließlich war ich nur im Erdgeschoss des Hauses willkommen.
Bevor sie schreien konnte, trat ich ganz in die Waschküche, lächelte mein dämlichstes Grillkochlächeln und hob den Kopfkissenbezug in die Höhe, in dem ich die ins Handtuch verpackte Säge trug. »Ich hab was Heikles zu waschen, und man hat mir gesagt, ich soll es gleich zu Ihnen runterbringen.«
27
Schlank und kaum einen Meter sechzig groß, trug Victoria Mors die Kombination, die ihr und Mrs. Tameed als Uniform diente: eine schwarze Hose und eine einfache weiße Bluse. Obwohl sie wahrscheinlich schon Ende zwanzig war, kam sie mir eher wie ein Mädchen als wie eine Frau vor. Sie war auf elfenhafte Weise hübsch und hatte große blassblaue Augen. Ihr blondes Haar war mit Spangen festgesteckt, aber wie jedes Mal, wenn sie mir begegnet war, hatten einige Strähnen sich gelöst und ringelten sich an den Seiten des Gesichts herab. Zusammen mit ihren rosigen Wangen verlieh ihr dies das Aussehen eines Kindes, das gerade vom Seilspringen oder einem Hüpfspiel kam. Ihr Körper war der einer Ballerina, doch sie bewegte sich manchmal mit einer fohlenhaften Unbeholfenheit, die durchaus reizvoll war. Meist blickte sie mich von der Seite her an, oder sie hielt den Kopf gesenkt und lugte unter ihren Wimpern hervor, was wohl mädchenhafte Scheu vortäuschen sollte, aber wohl eher blanken Argwohn ausdrückte.
Nun, in der Waschküche, starrte sie mich jedoch direkt an. In ihren großen weit geöffneten Augen lag eine nervöse Besorgnis, als würde über meinem Kopf eine Vampirfledermaus flattern, die ich nicht wahrgenommen hatte.
»Ach«, sagte sie, »die Wäsche hätten Sie nicht selbst bringen müssen, Mr. Odd. Ich hätte sie gern im Gästeturm abgeholt.«
»Ja, Ma’am, ich weiß, aber ich wollte Ihnen die Mühe ersparen. Es muss für Sie und Mrs. Tameed ganz schön anstrengend sein, sich um ein so großes Haus zu kümmern. Das ganze Abstauben, Fegen, Polieren und Aufräumen. Gut, es gibt sicherlich noch mehrere andere Angestellte, auf die ich wohl noch nicht getroffen bin.«
»Ach nein?«, sagte sie. Ihr Tonfall und ihr Gesichtsausdruck drückten aus, sie sei ein zwar charmantes, aber nicht sehr helles Mädchen, das Gesprächsbeiträgen, die mehr als sechs Worte umfassten, nicht recht folgen konnte.
»Arbeiten Sie schon lange in Roseland?«
»Ich bin so froh, dass ich den Job gefunden habe.«
»Wer wäre das nicht?«
»Wir sind wie eine große Familie hier.«
»Ich spüre regelrecht die Wärme.«
»Und es ist ein so schöner Ort.«
»Richtig magisch«, stimmte ich zu.
»Die herrlichen Gärten, die wunderbaren alten Eichen.«
»Ich bin auf eine raufgeklettert und habe eine ganze, wenn auch sehr kurze Nacht darauf verbracht.«
Sie blinzelte. »Wie bitte?«
»Ich bin auf eine der wunderbaren alten Eichen geklettert. Bis in den wunderbaren Wipfel, wo die Äste fast zu dünn waren, um mich zu tragen.«
Sie war verwirrt, vielleicht, weil ich das Limit von sechs Worten weit überschritten hatte. »Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?«
»Ach«, sagte ich, »das musste ich einfach tun.«
»Auf Bäume zu klettern ist gefährlich.«
» Nicht raufzuklettern, kann genauso gefährlich sein.«
»Also, ich tue nie etwas Gefährliches.«
»An manchen Tagen ist es schon gefährlich, aus dem Bett zu steigen.«
Sie beschloss, mir nicht mehr direkt in die Augen zu schauen, und machte sich wieder daran, die Wäsche in ihrem Wagen auf die beiden Maschinen zu verteilen. »Lassen Sie Ihre Sachen doch einfach da, Mr. Odd«, sagte sie. »Ich kümmere mich schon darum.«
»Meine
Weitere Kostenlose Bücher