Schwarze Heimkehr
diese synthetischen Lichter, Klänge und Gerüche angefordert. Das Gewirr feuchter Düfte kam durch ein stimulierendes Netzwerk, das aromatische Ölessenzen in die Zelle verströmte.
Wenn man von den seltsam anmutenden Streifen schwarzen Gummis absah, die sich um ihre Brüste, die Leistengegend und die Oberschenkel spannten, war sie nackt. Die Gummistreifen waren durch elektronische Leitungen mit dem Computerterminal verbunden, und sie spürte, wie ein flexibler, imaginierter Penis sie auszufüllen begann.
Das Boneyard war ein Club für virtuellen Sex, einer der ersten seiner Art. Gideon hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Es war eine Möglichkeit, seine Fantasien zu erforschen und - zumindest auf virtuellem Weg - das zu verwirklichen, was man im Sinn hatte. Man mußte keine Angst vor Aids oder anderen durch Sex übertragbaren Krankheiten haben. Es war, um es kurz zu sagen, die ultimative Kur für die junge, besorgte Generation.
Rachels Augen waren durch die Übersättigung von Drogen und Lust verengt. Sie lehnte sich mit gespreizten Beinen zurück und beobachtete Gideons elektronisches Bild. Durch das Computerinterface konnte man natürlich beliebige Bilder aus der Datenbank auswählen, aber sie zogen ihren Anblick vor, zumindest wenn sie sich auf virtuellem Weg liebten. Wenn sie sich gelegentlich durch das Interface sexuell mit Gleichgesinnten verbinden ließen, die einen halben Kontinent weit entfernt waren, erschienen die als seltsame und wundervolle Gestalten auf dem Monitor.
Rachel bewegte den Zeiger der Maus mit dem rechten Zeigefinger höher an der Innenseite von Gideons virtuellem Oberschenkel hinauf, und fast im selben Moment wurden durch die Leitungen, die mit den Gummistreifen verbunden waren, lustvolle Stöße übertragen, die eine erogene Zone nach der anderen erfaßten. Sie kam und stieß einen kleinen Schrei aus. Gideon kannte sie inzwischen gut und verlängerte den Höhepunkt so lange, bis ihre Füße vom Boden hochgerissen wurden, ihre Oberschenkel unkontrollierbar vibrierten und ihr Kopf endlich zur Seite fiel.
Danach, in der verschwitzten Pause zwischen den virtuellen Akten, nahm sie eine weitere Prise Kokain. Sie wußte, daß es in der nächsten Zelle, bei Gideon, nicht anders war. Irgendwo weit hinten im trüben Unterbewußtsein ihres Verstandes wußte sie, daß sie es übertrieb, aber das war ihr egal. Sie wollte mehr und brauchte den Stoff, um nicht an ihren Vater denken zu müssen, den flammenden Scheiterhaufen seines Todes.
Dieser Gedanke schmerzte plötzlich wie ein Stachel in der Kehle. Sie wollte in Tränen ausbrechen, schnupfte statt dessen noch mehr Kokain.
Stimmte es, daß man nie aufhörte, seinen Vater zu lieben, was auch immer passierte? Selbst wenn er tot war? Welcher Teil von ihm lebte wie eine dunkel aufgehende Saat in ihrem Herzen weiter?
Etwas in ihr wünschte sich verzweifelt, daß ihre Mutter hereinstürzen und sie von dem Sex-Network losreißen würde, aber das würde sie nie tun. Zum einen hätte sich ihre Mutter ihr geheimes Leben nie auch nur vorstellen können, und zum anderen hätte sie auch nicht gewußt, wie sie mit dem Problem fertig werden sollte. Rachel ging jede Nacht aus und kam erst um fünf oder sechs Uhr morgens zurück. Ihre Mutter wollte zwar wissen, wo sie sich nachts herumtrieb, aber Rache! weigerte sich, es ihr zu sagen. Trotzdem ließ ihre Mutter sie gehen. So war sie eben. Wenn sie etwas Ekelhaftes oder Unbegreifliches sah, verhielt sie sich wie der Vogel Strauß und steckte den Kopf in den Sand. Warum zum Teufel hat sie uns nicht Einhalt geboten? dachte Rachel. Weil die Zeit, wo das noch möglich gewesen wäre, schon lange vorbei ist, und jetzt ist es zu spät.
Wieder ergriff sie dieses sanfte Gefühl - das Brennen, das in ihren Oberschenkeln begann und weiter nach oben kroch, und es war einfach zu gut. Vielleicht habe ich mir früher gewünscht, daß sie kommt und mich rettet, dachte sie. Und wenn das gar nicht stimmt? Weil sie erneut den Stachel in der Kehle spürte, nahm sie noch mehr Kokain. Ohne Kokain würde sie sich bestimmt umbringen. Sie hätte es längst versucht, doch Gideon hatte sie davon abgehalten. War das gut oder schlecht?
Diese knifflige Frage machte sie durstig, und sie spülte etwas von der schwarzen Limonade herunter, die sie draußen an der Bar gekauft hatte.
Der sogenannte ›Parlor‹, der große öffentliche Raum des Boneyards, war mit einem bunten Durcheinander komfortabler Art-deco-Möbel übersät. Hier
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