Schwarze Heimkehr
Gegenteil behaupteten. Wenn man erst einmal einen Menschen getötet hatte, war man für immer ein anderer. Es blieb eine innerliche Wunde zurück, die auch die Zeit nicht heilen konnte.
Croaker durchsuchte die Taschen des Toten und fand ein Bündel von zehn Hundert-Dollar-Scheinen, etwas Reservemunition und einen Schokoriegel. Schokolade für einen schnellen Energiestoß. Er löste den Gürtel des Toten, streifte die Stiefel mit den Stahlspitzen ab und untersuchte sie.
Kein Ausweis. Keine Schlüssel. Hatte er sie im BMW gelassen? Er ging zu dem weißen Auto. Die Schlüssel steckten noch im Zündschloß. Croaker durchsuchte den Wagen, fand aber nichts. Er warf einen Blick auf das Nummernschild und sah, daß es eines jener Kennzeichen war, die für Autohändler reserviert waren. Es war gestohlen, und so gab es keine Möglichkeit, seine Herkunft zurückzuverfolgen. Der Mann war ein Profi gewesen.
Auf dem Rückweg fand Croaker die Pistole, einen bearbeiteten 38er Colt Special. Eine der Veränderungen bestand darin, daß um den Griff ein schwarzes Klebeband gewickelt worden war. Außerdem war die Seriennummer abgefeilt worden. Kriminelle benutzten solche Waffen, aber auch die Agenten der ACTF.
Wer war dieser Mann? Croaker wußte es nicht, aber er wurde von einem Schauer der Vorahnung gepackt, als er die Kugeln über seine Handfläche rollen ließ. Er brauchte besseres Licht, um ganz sicher zu sein.
Er starrte auf die Leiche. Wie hatte Antonio es geschafft, ihn zu paralysieren? Er hatte nur zwei Finger gegen seine Schläfe gepreßt und ihm dann einen seiner Zaubersteine gegen das Brustbein gedrückt. Warum? Er mußte mit jemandem reden, der sich mit
Hetá I
der Guarani auskannte. Estrella Leyes.
Er schlich vorsichtig zu der Stelle zurück, wo der dunkle Thunderbird stand, streckte die Hand durch das Seitenfenster und drehte den Schlüssel im Zündschloß. Im Licht der Scheinwerfer prüfte er die Kugeln erneut. Dark Stars maßgefeilt. Die Köpfe wirkten wie ein Schrapnell und explodierten im Körper des Opfers. Sie richteten großen, meistens tödlichen Schaden an, selbst wenn man ein lebenswichtiges Organ verfehlte. Und die Ballistik-Experten fanden nichts außer unidentifizierbaren, deformierten Metallteilchen.
Croaker fühlte sich, als stürzte er in einem Lift aus dem einhundertsten Stock eines Hochhauses in die Tiefe. Er kannte diese Munition, hatte sogar selbst schon einmal Gelegenheit gehabt, sie zu benutzen. Diese Kugeln gehörten zur Ausrüstung der Undercoveragenten der Anti-Cartel Task Force.
Nachdenklich setzte er sich hinter das Lenkrad. Er blickte in den Rückspiegel. Er war so bleich, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen. Er ließ die Munition in der Tasche verschwinden.
Tief in Gedanken versunken, gab er Gas und fuhr in nördlicher Richtung davon.
*
Was für eine Hydra hatte er geweckt? Er war offenbar dabei, in ein Geheimnis vorzudringen, das tabu war. Das Developing Capital Countries Trade Relations Bureau, kurz DICTRIB. Hatte ihn die ACTF, jene Abteilung, für die er einst als freier Mitarbeiter gearbeitet hatte, deshalb auf die Todesliste gesetzt? Vielleicht konnte Ross Darling, der Mann, der seinen Computerzugang blockiert hatte, seine Fragen beantworten. Wenn er nicht versuchen würde, den Job zu vollenden, mit dem man den Killer beauftragt hatte.
Croaker erreichte South Beach und parkte in einer stillen, von Bäumen gesäumten Straße, die drei Blocks vom Ocean Boulevard entfernt war. Es war halb vier morgens, und er brauchte etwas Schlaf. Es blieben nur noch wenige Stunden, bevor er Ross Darling treffen würde.
Er schleppte sich aus dem Thunderbird und stieg die Stufen des kleinen Stuckgebäudes hinauf. Die Fassade war kürzlich renoviert worden. Sie war tiefblau und purpur gestrichen, und die Art-deco-Farben stimmten mit denen überein, die bei den Luxusrenovierungen in der Umgebung benutzt worden waren. Croaker war nicht erstaunt, daß die Eingangstür offen war. Sie wurde nie abgeschlossen.
Er befand sich in einer Kirche, der St. Francis of the Palm Church, die von allen in der Nachbarschaft nur Surfers’ Church genannt wurde. Der neue Priester hatte vor sechzehn Monaten ein großangelegtes Programm gestartet, um verlorene Jugendliche, deren Leben durch ihre Kokain- oder Heroinsucht gefährdet war und die South Beach wie eine Algenflut überschwemmten, um sich zu scharen. Wie erfolgreich er letztendlich gewesen war, blieb ein weiteres religiöses Geheimnis.
Die Innenräume
Weitere Kostenlose Bücher