Schwarze Heimkehr
von Kirchen hatten etwas Besonderes, fand Croaker. Es herrschte dort eine Stille, die die Seele ansprach. Man mußte kein praktizierender Christ sein, um die besondere Atmosphäre von Liturgie, gebeichteten Sünden und Abendmahl zu empfinden. Es kam ihm vor, als hätte sich diese Atmosphäre über Jahrhunderte hinweg nicht verändert, und das war natürlich auch der Zweck. Wo immer man geboren worden war, man sollte das Gefühl empfinden, daß man nach Hause zurückkehrte, sobald man die heilige Schwelle übertreten hatte.
Croaker war nicht heuchlerisch genug, um sich an religiöse Riten zu halten, an die er nicht glaubte. Und trotzdem fühlte er, daß das Adrenalin aus seinem Körper wich, während er sich in eine hölzerne Kirchenbank setzte und die Atmosphäre des Ortes einsog.
Die Gewölbe in dem cremefarbenen Stuckinnenraum waren mit dunklen Holzbalken mit nackten Eisennägeln versehen, deren Köpfe im Durchmesser seinem Daumennagel entsprachen. Der geschnitzte Holzaltar war mit einem heiligen Tuch bedeckt. An der hinteren Wand ragte ein Bild des gekreuzigten Jesus auf, und an den beiden Seitenwänden sah man bemalte Gipsstatuen der Jungfrau Maria und des Heiligen Franziskus. Der Raum roch nach Kerzenwachs, nach dem alten Gemäuer und dem Meer.
Croaker legte seine Unterarme auf die Rückenlehne der Kirchenbank vor sich und bettete seinen Kopf auf dieses improvisierte Kissen. Zum Glück konnte er sich nicht mehr an den Augenblick erinnern, da er auf den Abzug gedrückt und zum erstenmal einen Menschen getötet hatte -Ajucar Martinez. Später hatten die Leute Martinez gewöhnlich als Verrückten bezeichnet, aber Croaker hatte es besser gewußt. Martinez war nicht verrückt, sondern ein dämonisches Monster gewesen. Er hatte genau gewußt, was er tat, als er der Reihe nach die fünf Nutten abgeschlachtet hatte. Croaker hatte Majeur, was Martinez betraf, nicht die ganze Wahrheit erzählt. Martinez hatte nicht nur die Gesichter seiner Opfer mit dem Rasiermesser verunstaltet und ihnen die Brüste abgeschnitten. Er hatte sie auch gezwungen, sie zu essen, bevor er ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte. Irgendwo in diesem Universum mochte es vielleicht ein Wort geben, das einen solchen Menschen beschrieb, aber Croaker kannte es nicht. Er hatte Martinez erwischt, und als Martinez ihn mit dem Rasiermesser angegriffen hatte, das er so routiniert einzusetzen wußte, hatte Croaker ihm ins Knie geschossen. Aber das hatte nicht genügt, um Martinez zu stoppen, dessen Lust zu töten und immer weiter zu töten, einem mächtigen Rausch glich. Es hatte noch nicht einmal genügt, um ihm das Maul zu stopfen. Sein improvisierter Monolog war entsetzlich gewesen - er hatte Croaker in allen Details beschrieben, wie er die Huren umgebracht hatte. Vielleicht deshalb hatte Croaker Martinez zweimal ins Gesicht geschossen.
Der Sekundenbruchteil zwischen Leben und Tod kam ihm undurchsichtig vor wie das winterliche Eis in den Adirondack Mountains im Staate New York. Aber Ajucar Martinez’ Gesichtsausdruck war nicht undurchsichtig gewesen. Unter einer zerschmetterten Stirn und über seiner Kehle und den Kiefern, die völlig zerfetzt waren, hatten ihn seine Augen starr angeblickt. In diesem Blick hatte Croaker nicht nur die Gewißheit erkennen können, daß Martinez tot war, sondern auch ein Stück seines eigenen Lebens. Das hatte ihn so geschockt, daß er einen Augenblick lang geglaubt hatte, sein Herz hätte zu schlagen aufgehört.
Wie bei einem Tier, dessen Gesicht vom Kampf vernarbt war, hatte sich irgend etwas in Croakers Innerem unwiderruflich verbraucht, das mit dem Kampf ums Überleben zu tun hatte. Das alles hatte plötzlich nicht mehr zu ihm gehört, und nichts würde wieder wie früher sein. Deshalb - und nicht wegen Martinez’ Blut - hatte er sich abgewandt und sich erbrochen.
In jener Nacht war er in seinen Träumen verfolgt worden. Die unbarmherzige Macht war immer hinter ihm hergewesen, gleichgültig, wohin er zu flüchten versuchte, welche Haken er schlug und wo er sich zu verstecken suchte.
Als er aufgewacht war, hatte er sich in dem grauen Morgenlicht schnell angekleidet. Unrasiert, ungewaschen und ohne seinem verkrampften Magen ein Frühstück zu gönnen, suchte er die kühle, hallende Kapelle Santa Maria Gloriosa auf. Croaker war viele Jahre nicht in seiner Heimatkirche gewesen, aber damals war sie für ihn zum letzten Asyl geworden. Er kniete sich unter den großen Fenstern mit den Glasmalereien nieder, wo Matty
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