Schwarze Heimkehr
Croaker zu, und ihr Gesicht war tränenüberströmt. »Ohne daß ich es überhaupt wahrgenommen hatte, hatte ein ganz neues Leben für mich begonnen. Du siehst, daß ich nach allem, was geschehen war und was ich vergessen wollte, der Auseinandersetzung mit der Familie - und besonders mit dir, Lew, dem Detektiv - ausweichen mußte. Selbst nach etlichen Monaten hatte ich noch Angst, daß du jedesmal, wenn ich zu lügen versuchen würde, die Wahrheit in meinen Augen erkennen würdest.«
Croaker war erstaunt und beschämt. Er hörte Bennies Worte, die ihn zu verfolgen begannen: Mein Wort in Gottes Ohr, aber Frauen kennen viele Methoden, um grausam zu sein. Aber zuerst du was? Ihre Brüder können manchmal noch schlimmer sein.
In seinem Inneren zerbrach etwas Hartes und Häßliches. »Matty …«
Sein sanfter und versöhnlicher Tonfall ließ sie die Fassung endgültig verlieren. Als er die Arme nach ihr ausstreckte, schluchzte sie. Ihre Schultern zitterten, und sie vergrub ihren Kopf an seiner Achselhöhle. Er drückte sie fest an sich, und auch seine Augen - kein Wunder - waren feucht. Bennie hatte recht gehabt. Wer immer sie auch war und was immer sich zwischen ihnen ereignet hatte - sie waren Geschwister. Es war seltsam, feststellen zu müssen, daß das, was er fälschlicherweise für Zorn gehalten hatte, einfach nur auf unglücklichen Zufällen und Mißverständnissen basierte.
»Ich konnte dir nicht unter die Augen treten«, flüsterte sie. »Ich hätte deine Beschuldigungen und deinen Gesichtsausdruck, wenn du es herausgefunden hättest, nicht ertragen können. Du hättest mich wegen meiner Dummheit verachtet und mir vorgeworfen, alles falsch gemacht zu haben. So habe ich einen feigen Ausweg gewählt; nachdem ich Donald geheiratet hatte‚ war es leichter für mich, die Familie zu ignorieren. Aber ich schwöre dir, daß mich deine unumstößlichen moralischen Prinzipien jeden Morgen aus dem Spiegel anstarrten.«
Er drückte sie fester an sich. »Vorbei ist vorbei, Matty.
»Das ist alles Vergangenheit. Wir können einen neuen Anfang machen.«
»Wirklich? Mein Gott, Lew, das wäre wunderbar, ein Traum würde wahr werden, aber …«
Ihr Körper versteifte sich vor Anspannung, und er schob sie sanft zurück, damit der ihr Gesicht sehen konnte. »Aber was?« Sie hatte die Augen weit aufgerissen, und in ihrem starren Blick lag tödliche Angst. Croaker begriff instinktiv, daß die nackte Angst, die ihr Gesichtsausdruck verriet, sie dazu bewegt hatte, ihn nach so langer Zeit aufzusuchen.
»Was ist los, Matty?«
»O Gott«‚ flüsterte sie schluchzend. »Rachel stirbt, Lew, mein kleines Mädchen geht fort von mir, und ich weiß nicht, was ich tun kann!«
ZWEITER TAG
2
Das Royal-Poinciana-Krankenhaus war ein zwölfstöckiges Gebäude aus blaßgoldenem Backstein am östlichen Ende der Eucalyptus Street. Obwohl es nur einen Steinwurf von der Flagler Memorial Bridge entfernt lag und vom Royal Poinciana Way und vom Breakers-Hotel in Palm Beach zu Fuß bequem zu erreichen war, war die unmittelbare Umgebung düster, trostlos und alles andere als ungefährlich.
Auf der anderen Seite des Intracoastals, der Wasserstraße zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln, verließen Frauen mit aufgestylten Frisuren glänzende Rolls-Royces, sie hatten auf dieser Welt keine Sorgen. Aber hier drüben verriegelte man am besten die Autotüren, wenn man hinter dem Lenkrad saß. Es war mehr als symbolisch, daß das Krankenhaus, von dem aus man auf den sanft glitzernden Intracoastal sah, dem North Dixie Highway und dem jenseits davon gelegenen Broadway den Rücken zukehrte. Dieser Stadtteil, der von verfallenden Bungalows und billigen, neonbeleuchteten Waschsalons beherrscht wurde, war das armselige Zuhause der schwarzen Bevölkerung, das an Palm Beachs äußerem Stadtrand steil aufragte. Es war kein Wunder, daß die Portiers in Palm Beach ihren Kunden rieten, das nordwestliche Stadtgebiet zu meiden.
Wie dem auch sei, Matty schien das alles nicht zu kümmern, während sie aus ihrem schwarzen Lexus ausstieg. Sie eilten über den asphaltierten Parkplatz und stiegen die Treppen des Krankenhauses hoch. Die kühlen Räume rochen schwach nach Verbänden und Desinfektionsmitteln. Ein Sicherheitsbeamter zeigte ihnen, wo sie sich anmelden und Tagesausweise erhalten konnten.
Matty wandte sich Croaker zu. Sie hatte an diesem Morgen so erschöpft ausgesehen, als hätte sie die ganze Nacht auf der Tanzfläche verbracht und dort auf
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