Schwarze Heimkehr
den Tagesanbruch gewartet. Sie hatte versucht, etwas gegen die dunklen Ringe unter ihren Augen zu tun, aber als sie ihre Donna-Karan-Sonnenbrille abnahm, sah Croaker, daß ihre Versuche erfolglos geblieben waren.
Am Ende des Korridors im sechsten Stock passierten sie eine Doppeltür, auf der DIALYSEZENTRUM stand. Sie betraten einen Bereich, der auf alle Besucher wie der Wartesaal der Hölle wirken mußte. Alte Menschen, die so krumm und hager wie das Heu vom letzten Jahr waren, warteten im Korridor. Man sah Rollstühle, Gehwagen und Krücken. Eine Krankenschwester marschierte an der Schlange der Wartenden entlang und inspizierte sie wie der Türsteher einer Diskothek, der darüber entschied, wer eingelassen wurde. Es roch nach Medikamenten und Resignation. Croaker kam sich wie an einem Wasserloch in der afrikanischen Steppe vor, als er an den Kranken vorbeiging und schwere, unregelmäßige Atemgeräusche, leises Stöhnen und verstörtes Grunzen hörte.
»Diabetiker‚ die auf ihre Dialyse warten«, murmelte Matty.
Hinter einer weiteren Doppeltür befand sich die Dialyseintensivstation, ein Wirrwarr enger Zellen, die um eine zentrale Station für die Schwestern angeordnet waren. Die Patienten in den Betten waren von Rollbahren, Infusionsgeräten, Monitoren und geheimnisvollem medizinischem Zubehör umgeben, bei einigen standen auch Dialysegeräte.
Von den acht Patienten in diesem Raum war nur Rachel jung. Die anderen hatte man offensichtlich aus dem Kreis der Unglücklichen ausgewählt, die schon zu lange auf die Dialyse angewiesen waren.
Croaker ging zögernd auf Rachel zu, als fürchtete er, sie durch einen unvorsichtigen Schritt aufzuwecken. Aber Rachel wußte nichts von solchen Sorgen. Nach dem, was Matty ihm erzählt hatte, befand sie sich in einem kritischen Zustand. Sie hatte im Koma gelegen, als sie in das Krankenhaus eingeliefert worden war, und war seitdem nicht mehr aufgewacht. Rachel war so bleich, als ob man ihr jeden Tropfen Blut aus dem Körper gezogen hätte. Die bläulichen Venen pochten unter der dünnen Haut ihrer Schläfen. Ein wirrer, dunkler Haarschopf ergoß sich über das Kopfkissen. Der goldene Nasenring war von einer Plastikröhre zur Seite geschoben worden. Croaker versuchte sich das Kind während der Taufe vorzustellen, als er es in den Armen gehalten hatte, aber seine Erinnerung ließ ihn im Stich. Er sah nur die Fünfzehnjährige, die vor ihm lag. Er fühlte sich, als wäre sein Herz in einem Schraubstock eingeklemmt. Wieder war er überwältigt, wie schön sie war, aber ihr Gesicht wirkte wie eine Totenmaske.
Sie hing an einem Katheter und Plastikröhren, die mit Monitoren verbunden waren, auf denen Puls, Herzschlag und Blutdruck angezeigt wurden. Aus dem Infusionsgerät tröpfelte Flüssigkeit in ihre Venen. Eine computergesteuerte Dialysemaschine‚ die etwas höher als ein Meter und mit beigefarbenem Plastik verkleidet war, arbeitete pflichtgetreu neben ihr. Sie reinigte ihr Blut und leistete die Arbeit, zu der ihre defekten Nieren offensichtlich nicht mehr in der Lage waren.
Da brach Croakers Herz, und er wandte sich wieder Matty zu. »Was ist mit ihr? Was zum Teufel ist ihr zugestoßen?« fragte er mehr als nur verärgert.
Matty stand stumm da und blickte dumpf auf die Dialysemaschine, die in seltsamer und vage unbestimmter Weise präsent war, als wäre sie ein großer loyaler Hund, der nicht von der Seite seiner Herrin wich.
»Einfach ausgedrückt, wird sie von toxischen Nierensubstanzen vergiftet, die von einer Überdosis Kokain und Amphetamine hervorgerufen wurden.«
Croaker wandte sich um und sah eine Ärztin Mitte Dreißig, die so durchtrainiert wie eine Amateurathletin und auf eine strenge und ernsthafte Weise schön war. Ihr rötliches Haar war zurückgebunden, und sie hatte ein katzenähnliches Gesicht.
Sie streckte die Hand aus, und Croaker ergriff sie. »Ich bin Dr. Marsh. Jenny Marsh.« Sie hob eine Augenbraue. »Und wer sind Sie?«
»Lew Croaker. Ich bin Mattys ….«
»Ah‚ der verlorene Bruder ist zurückgekehrt.« Dr. Marsh lächelte. »Nach allem, was Mrs. Duke mir erzählt hat, bin ich glücklich, daß sie es geschafft hat, sie zu finden. Entschuldigen sie mich bitte einen Augenblick.« Sie wandte sich Matty zu. »Wir wollen ihr noch etwas mehr Blut und Urin abnehmen, wenn Ihnen das recht ist.«
Matty nickte schweigend, und Dr. Marsh gab einem Pfleger ein Zeichen, daß er hereinkommen sollte.
»Ich würde es sehr schätzen, wenn sie mir einige
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