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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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heftig, dass ich mich hinsetzen musste.
    Ich rief den Namen seiner Mutter, aber niemand erschien. Ich suchte alle Winkel meiner Wohnung nach ihr ab, aber ich fand nur Rhett Butler in der Küche.
    Ich kehrte zur Rotznase Saúl zurück. Seine kühnen Augen waren unbeirrt auf die Tür gerichtet. Aus seiner Gelassenheit schloss ich, dass er noch nicht lange allein war.
    Ich wählte die Festnetznummer von Irene Sandoval, aber niemand hob ab.
    Das war der Moment, in dem sich die Roulettekugel in Gang setzte, die jeder Idiot in seinem Hirn hat. Ergebnis: Saúls Mutter hatte das Baby bei mir zurückgelassen, so wie ihre eigene Mutter sie damals zurückgelassen hatte. Scheiße! Ich betete zum Himmel, dass Saúl nichts tun würde, was mich überforderte, weinen zum Beispiel. Ich hob ihn vom Boden und setzte ihn auf einen Sessel.
    Miauend kam Rhett Butler angelaufen. Ich nahm ihn hoch und setzte ihn neben Saúl. Zufrieden betrachtete ich die beiden, die sich brüderlich ansahen. Aber ich wusste, dass der Friede nicht von Dauer sein würde. Saúl gab Geräusche von sich, kleine glucksende Laute, die die Wohnung füllten, als wäre er immer schon ein Teil von ihr gewesen.
    Es klingelte an der Tür. Kaum hatte ich sie geöffnet, stürmte eine panische Teresa an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sie lief direkt zu ihrem Baby und riss es in ihre Arme.
    Ich wollte ihr gerade erklären, dass ich ihren Sohn nicht gestohlen hatte und auch kein Lösegeld verlangen würde, aber da ergriff sie bereits das Wort. Sie sei von der Arbeit gekommen und habe das Baby nirgendwo finden können, und da habe ihr Irene ungerührt erzählt, sie habe ihn zu mir gebracht, um mir eine Lektion zu erteilen.
    »Und wie ist sie hier reingekommen?«, wollte ich wissen.
    »Du hast ihr angeblich irgendwann den Schlüssel gegeben …«
    Es stimmte. Ich erinnerte mich, dass ich ihr einmal halb betrunken den Schlüssel in die Hand gedrückt hatte, damit sie ihn aufbewahrte, falls mir etwas zustieß und mein Vater nicht in die Wohnung kam.
    »Bleibt ihr zum Abendessen?«, fragte ich dämlich.
    Teresa gab mir einen Kuss auf die Wange und verließ die Wohnung mit dem Kind auf dem Arm.
    In dieser Nacht stattete mir der Tod einen Besuch ab. Ein Gefühl des Entsetzens ergriff mich, ich hörte mein Herz schlagen, die Kehle wurde mir eng. Plötzlich sprang Rhett Butler aufs Bett. Das reichte, um mich in die Realität zurückzuholen. Ich packte den Kater und steckte ihn unters Laken. Es gibt keinen besseren Talisman als einen Straßenkater. Der gibt zwar nicht sein Leben für dich wie ein Hund, weiß aber genau, wie man sich gegen Gespenster zur Wehr setzt. In ständiger Alarmbereitschaft liegt er da und hält die Dämonen mit seinen beunruhigenden Augen auf Distanz.
    Es war nicht das erste Mal, dass mir im Schlaf ein Toter begegnete, aber wohl das erste Mal, dass ich den Toten kannte. Es war Pater Paulo Pila, sein Geruch nach Naphthalin war unverwechselbar. Was willst du, du Scheißkerl, fragte ich ihn.
    Das Klingeln des Telefons schien seine unmittelbar folgende, wehklagende Antwort zu sein. Es war 03.33 Uhr. Vielleicht waren es die Entführer. Ich hielt den Hörer ans Ohr, ohne etwas zu sagen.
    »Es tut mir leid.« Schon wieder Teresa. Die Uhr sprang auf 03.34 Uhr.
    Sie seufzte und sagte, wenn man an einem Ort lebe, an dem die Gewalt einem alles entreiße, gewöhne man sich daran, die Hände zu öffnen, damit sie einem auch noch das wenige nähme, was einem blieb. Ich schätze, sie sprach von Mexico City, von Bogotá, von irgendeiner labyrinthähnlichen, engen, einschnürenden Stadt.
    »Aber diesmal nicht, Gil, diesmal kann ich nicht einfach die Hände öffnen, denn ich halte etwas darin, was man unter gar keinen Umständen jemals hergeben darf. Wenn sie ihn mir wegnehmen wollen, müssen sie ihn umbringen … Ich wollte nur, dass du ihn kennenlernst, und er dich, doch zusammenleben ist eine andere Geschichte.«
    »Wir könnten es versuchen«, sagte ich und zählte ein ganzes Arsenal an Gründen auf, warum wir zusammen sein sollten. Dabei glaubte ich nicht einmal selbst an meine Worte, ich spürte nur, wie dringend ich sie überzeugen wollte.
    »Morgen Abend um sechs sind wir bei dir.«
    Ich legte langsam den Hörer auf und konnte gar nicht glauben, was ich gerade gehört hatte. Ich versuchte mir Mut zu machen, indem ich mir einen Tequila einschenkte, die nackten Füße vor den Ventilator legte und mir zuprostete. Wie leicht war es für Mama Bayou, den

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