Schwarze Madonna
seine Erinnerung, als Onkel Titus gesagt hatte: »Ihr denkt doch daran, dass ihr die Guten seid?«
»Natürlich«, murmelte er und schob den Gedanken daran entschieden von sich weg. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass er in all den verschiedenen Indizien und Spuren etwas übersehen hatte. Vielleicht nur eine Kleinigkeit. Vielleicht aber auch den entscheidenden Hinweis, der diese nächtliche Herumschleicherei und Einbrecherei unnötig gemacht hätte.
Plötzlich zuckte er zusammen. Etwas hatte sich geändert. Was war es? Er duckte sich in den Schatten des Torpfeilers und lauschte. Es war totenstill auf der Straße. Das weit entfernte Dröhnen der Großstadt schien aus einer anderen Welt zu kommen.
Dann hörte er Schritte. Eine Autotür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Auf dem Grundstück der ›Great Deliverance‹ sprang ein Motor an und ein Wagen rollte auf das Tor zu. Erst kurz vor dem Tor schaltete er die Scheinwerfer an und Justus kniff geblendet die Augen zu. Aber auch so hatte er den Wagen erkannt: es war der dunkelgrüne Ford. Aber das war auch keine Überraschung mehr; sie wussten ja, dass Pentecost mit den Clowns unter einer Decke steckte. Wer saß wohl darin? Und was hatte er mitten in der Nacht vor?
Lautlos glitt das Tor zur Seite und der Wagen fuhr hindurch. Jetzt oder nie! Justus sprintete los, bevor das Tor sich wieder schließen konnte, und warf sich im Garten hinter einen großen Hibiskusstrauch. Die Insassen des Autos schienen nichts bemerkt zu haben. Der Wagen fuhr weg und das Tor schloss sich mit einem Klicken.
Justus rappelte sich auf und schlich zum Haus. Pentecost schien sich sehr auf sein elektrisches Tor, die hohen Mauern und den Stacheldraht zu verlassen, denn eins der ebenerdigen Fenster war nur angelehnt, die anderen gekippt. Justus warf einen raschen Blick über die Schulter. Im Mondlicht lag der Garten verlassen da und von der Straße aus konnte man ihn nicht sehen. Rasch stieß er das Fenster auf und kletterte hinein.
Er befand sich in der Bibliothek, von der Peter ihm erzählt hatte. Ein kurzer Schwenk mit der Taschenlampe zeigte ihm Hunderte von Bildbänden und Fachbüchern aller Kunst- und Architekturrichtungen. Zwei Regalfächer waren mit italienischen Kunstzeitschriften vollgestopft. Es juckte Justus in den Fingern, in diesen Zeitschriften nach Madonnen der Renaissance zu suchen, aber er riss sich zusammen und schlich zur Tür.
Der Flur lag ebenso still und verlassen da wie der Garten. Im Dunkeln vermittelten die kahlen Wände ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit. Rechts hinter dem Perlenvorhang konnte Justus die groteske Gestalt der Spinnenfrau erkennen. Er wandte sich nach links. Da war die Tür zum Arbeitszimmer. Verschlossen? Wohl kaum – nicht, wenn Pentecost allein im Haus war. Justus drückte die Klinke herunter und die Tür ging auf.
Das Arbeitszimmer war genauso chaotisch, wie Peter es beschrieben hatte. Am Fenster stand ein großer Eichenschreibtisch, der in den Raum hineinragte, daneben in der Ecke ein kleiner, moderner Tisch mit Computer und Drucker. Beide Tische quollen über vor Papieren, Ordnern, Bildern und Zeitschriften, und nur eine winzige Stelle direkt vor dem bequemen Chefsessel war zum Arbeiten freigehalten. Rechts neben der Tür stand ein alter Eichenschrank mit geschlossenen Türen. Wahrscheinlich waren sie seit zehn Jahren nicht geöffnet worden, denn vor dem Schrank türmten sich drei bedrohlich schiefe Stapel Zeitschriften. In, um und neben den drei Bücherregalen, die rechtwinklig zur Wand standen, sah es nicht besser aus. Das Zimmer bot einen seltsamen Kontrast zu der sterilen Leere des Flurs und des Wohnzimmers, in dem ja nur die Statuen Leben vorgetäuscht hatten.
Justus huschte zum Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl. Den Computer schaltete er nicht ein – das unvermeidliche Piepsen würde wahrscheinlich durch das halbe Haus zu hören sein. Aber er schaute sich sehr genau die Unterlagen an, die dort aufgestapelt waren. Es waren hauptsächlich Akten des Transportunternehmens, aber auch Dankesbriefe des Arts & Crafts Museums für die weitere Stiftung einer Replik, Briefe eines Vereins zur Förderung der Kunst in Kalifornien, Bettelbriefe unbekannter und nach den beigelegten Fotos zu urteilen wohl auch unbegabter Künstler, Zeitschriften – und ein Ordner, auf dessen Deckel ›C.D.P.‹ stand.
Carino Daily Post!
Justus öffnete den Ordner und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Gleich als Erstes fand er den
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