Schwarze Piste
überlegte kurz. Nein, es war nicht genug. Er musste Kummeder siebenhundertvierzig abliefern, und wer wusste, ob der nicht noch Zinsen verlangte fürs Warten. »Tut mir leid. Das Bußgeld beträgt achthundert.«
»Warten Sie«, sagte die Frau, holte ein Portemonnaie aus ihrer chaotischen Handtasche und fummelte darin herum, bis sie ein paar zerknitterte Scheine in der Hand hielt. »Hundertsiebzig hätte ich noch.«
Kreuthner nahm das Geld entgegen, dann auch die glatten und nagelneuen Scheine des Mannes. »Nun, wegen dreißig Euro wollen wir jetzt keinen Papierkrieg anfangen. Aber bringen Sie das in Ordnung mit dem Kennzeichen.« Er richtete einen mahnenden Zeigefinger auf die Frau.
Die sagte: »Ich lass es heute Nachmittag gleich machen«, und lächelte. Mittlerweile schien das Schauspiel allen Beteiligten Freude zu machen.
Kreuthner sah auf seine Uhr. Er hatte noch achtzehn Minuten, um Kummeder das Geld zu bringen. Knapp, aber möglich. »Dreh um«, rief er Schartauer zu, der im Wagen saß. »Wir fahren zur Mangfallmühle.«
Baptist Krugger hatte Stimmen gehört. Im dunklen Kofferraum fiel ihm das Atmen schwer, denn die Decke lag auf seinem Gesicht. Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, sie abzuschütteln. Er hörte, dass ein Mann mit der Fahrerin sprach, offenkundig ein Polizist. Krugger war heiß, und sein Herz schlug so wild, dass er den Puls am Adamsapfel spürte. Was sollte er tun? Um Hilfe rufen? Ja, das sollte er jetzt verdammt noch mal tun. Er würde es auch tun – wenn, ja, wenn er nicht solche Angst hätte. Es konnte so viel schieflaufen. Wenn es doch kein Polizist war, wenn sie wegfuhren und der Polizei entkamen, wenn sie ihn nur testen wollten, wenn, wenn, wenn … Dann würden sie ihn umbringen, dann würden sie wissen, dass er einer war, auf den man sich nicht verlassen konnte, wenn man ihn freiließ. Eigentlich sprach alles dafür, um Hilfe zu schreien, jeder vernünftige Mensch hätte es getan, die Erfolgschance lag bei achtundneunzig Prozent. Herr im Himmel! Wenn er doch nur Eier und nicht so eine gottverfluchte Angst hätte! Dann! Auf einmal! Die Stimme des Polizisten wurde leiser, er bewegte sich vom Wagen weg. Vielleicht war er gar nicht mehr da, vielleicht würde er ihn nicht mehr hören, wenn er schrie. Wenn er nur nicht diese beschissene Angst hätte, müsste er sich jetzt die Lunge aus dem Leib schreien. Schrei einfach. Schrei!
Baptist Krugger schrie nicht an diesem Tag, sondern brach in Tränen aus. Es waren Tränen der Verzweiflung und der Wut über seine Feigheit.
Wenige Minuten, nachdem der Wagen losgefahren war, wurde angehalten. Der Kofferraum öffnete sich, und der Mann mit der Pistole sagte Krugger, dass er aussteigen solle. Die Entführer trugen jetzt Bankräubermasken, die nur Augen und Mund freiließen. Sie zerrten ihn zu dritt (eine weitere Frau war dazugekommen) aus dem Kofferraum. Der Wagen stand vor seinem Haus am Taubenberg, mit dem Heck zur Tür, so dass der Kofferraumdeckel Sichtschutz bot, falls jemand in ihre Richtung schauen sollte. Aber es kam so gut wie nie jemand vorbei. Nur der Bauer mit seinen Kühen. Und das erst wieder am späten Nachmittag. Niemand würde sehen, was hier passierte. Das Grundstück war vollständig von Sträuchern und Büschen umgeben, blickdicht, jedenfalls im September. Das war eines der Kriterien gewesen, die Krugger zum Kauf veranlasst hatten.
Sie nahmen ihm die Handfesseln ab und ermahnten ihn, keinen Scheiß zu machen. Krugger dachte nicht im Traum daran. Und seine Entführer schienen ihn als relativ geringes Risiko einzustufen. Sein Wohlverhalten im Kofferraum hatte als vertrauensbildende Maßnahme offenbar Wirkung getan.
»Los, rein ins Haus!«, sagte der Mann. Krugger stand vor der PIN -Tastatur und zögerte. »Worauf warten Sie? Geben Sie den Code ein!«
Im Haus brauchten die Entführer nicht lange, um sich zu orientieren, die Ecke mit den Computern war schnell ausfindig gemacht. Der Mann setzte sich sofort an den Rechner und schaltete ihn ein. Dann öffnete er im Browser die
Favoriten
und ging auf die Website der Südbayerischen Creditanstalt.
Da die Put-Optionen auf fallende Börsenwerte nach dem fünfzehnten September mit einem Mal zehn Millionen Euro wert gewesen waren, hatte Krugger verkauft und das Geld auf einem Festgeldkonto geparkt. Er musste sich orientieren und abwarten, wie die Entwicklung weitergehen würde. In Gold oder andere krisensichere Werte zu investieren, schien ihm nicht clever, denn da waren
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