Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
nach ihm sucht?“
Das Schmunzeln im Gesicht ihres Gesprächspartners machte ihr deutlich, dass er ihre Sorgen für reichlich naiv hielt.
„Gar nichts wird geschehen. Die Chrestles werden ihn ganz sicher nicht in ihr Haus lassen. Zum einen sind sie mit ihm seit Clarissas Tod verfeindet, und zum anderen ist es viel zu früh am Morgen. Und selbst wenn sie sich herabließen, mit ihm zu sprechen, dann würde er nichts von ihnen erfahren. Ich bin sicher, dass er spätestens in einer Stunde unverrichteter Dinge hier wieder auftauchen wird. Dann – verflucht noch einmal – wird Zeit für ein ehrliches Gespräch sein.“
„Ganz sicher nicht“, meinte Violet lächelnd. „Er wird zum Umfallen müde sein, denn er hat die ganze Nacht über nicht geschlafen.“
„Ausgezeichnet – mein Bett ist frei“, knurrte Forch und lud sich eine zweite Portion auf. „Soll der Hitzkopf sich erstmal ausschlafen. Und Sie, Violet, essen jetzt gefälligst Ihren Teller leer, sonst kann ich sehr energisch werden!“
„Sie werden ihm helfen?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Mit allem, was in meiner Macht steht, Violet“, gab er lächelnd zurück. „Schon … um Ihretwillen.“
Sie wurde rot und nahm es als eines seiner gutmütig-heiteren Komplimente, die sie ja schon zur Genüge kannte. Doch sein Lächeln verging schnell, und während er jetzt heftig auf seinem Teller herumstocherte, schien es ihr fast, als sei er zornig.
Die Zeit verging unendlich langsam. Nach dem Frühstück versorgte Forch sie mit einigen Zeitschriften und ließ sie dann allein, um sich anzukleiden. Violet blätterte zerstreut in den Zeitungen herum, las diese oder jene Meldung und lauschte dabei nervös auf das Ticken der kleinen Standuhr auf dem Kaminsims. Als sie mit hellen, durchdringenden Schlägen neun Uhr verkündete, sprang Violet auf, um aus dem Fenster zu sehen.
„Nur Geduld, Miss Violet“, sagte Forch, der hinter ihr ins Zimmer getreten war. „Er wird frühestens in einer Stunde hier sein.“
Er setzte sich auf einen Sessel und zog sein Zigarrenetui hervor, um sich ein wenig Tabakdunst zu gönnen. Er wurde jedoch durch die Türglocke unterbrochen und steckte die Zigarre mit resignierter Miene zurück in den Behälter.
„Gott sei Dank“, flüsterte Violet erleichtert.
Doch ihre Hoffnungen wurden enttäuscht. Statt Nicholas erschien das Mädchen im Wohnzimmer und überbrachte Forch ein Schreiben, das soeben für ihn abgegeben worden war. Violet hielt es für unhöflich, Forch beim Lesen zuzusehen und wandte sich wieder dem Fenster zu. Sie hörte, wie er den Umschlag ungeduldig aufriss, dann war es einen Augenblick still.
„Verdammt“, hörte sie ihn flüstern.
Sie fuhr herum. Forch hielt das Schreiben noch in der Hand und warf die Brille, die er zum Lesen aufgesetzt hatte, zornig auf den Schreibtisch.
„Was ist?“
„Setzen Sie sich hin!“
„Weshalb?“, fragte sie, am ganzen Körper vor Angst zitternd.
„Jetzt setzen Sie sich endlich!“
„Ich neige nicht zu Ohnmachten, Mr. Forch“, gab sie zurück, setzte sich aber doch gehorsam auf den Sessel.
„Heute früh wurde eine gewisse Grace Dolloby überfallen und erstochen.“
„Grace!“, schrie Violet auf. „Gütiger Gott – meine Freundin Grace! Das ist nicht wahr! Das kann gar nicht die Wahrheit sein.“
„Ruhig!“, unterbrach er sie. „Das ist noch nicht alles.“
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an.
„Was noch?“, flüsterte sie.
„Man hat Nicholas verhaftet. Er steht im dringenden Verdacht, sie getötet zu haben.“
Ihre Finger krampften sich um die Armlehnen des Sessels, doch sie war nicht fähig, auch nur einen einzigen Laut über ihre Lippen zu bringen. Kälte kroch an ihr hoch, lähmte ihre Glieder, füllte sie ganz und gar aus. Das alles musste ein böser Traum sein, sie würde gewiss gleich daraus erwachen, sie brauchte nur die Augen zu schließen.
„Schön trinken!“, sagte jemand zu ihr. „Ganz langsam. Nicht verschlucken.“
Sie spürte den kühlen Rand eines Glases an ihren Lippen, schluckte die scharfe Flüssigkeit, die ihr in den Mund lief, und musste husten.
„Hab ich’s nicht gesagt? Na kommen Sie schon. Noch einen Schluck, dann geht es Ihnen besser.“
Jeremy Forch saß auf der Armlehne ihres Stuhles, hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt und bemühte sich, ihr etwas aus einem halbgefüllten Glas einzuflößen. Sie nahm brav einen großen Schluck Whisky und hatte gleich darauf das Gefühl, als habe jemand ein Feuerchen in
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