Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
Wahnsinnigen, Violet“, sagte er leise. „Dieser Mensch tötet, weil er mich vernichten will. Aber in seinem Wahnsinn ist er unfassbar schlau und von einer teuflischen Beharrlichkeit. Es war kein Zufall, dass jemand in dieser Nacht versucht hat, unsere Pferde zu verletzen. Er wollte unsere Abreise nach Dover verhindern. Und ich bin fest davon überzeugt, dass er auch jetzt hinter uns ist.“
Unwillkürlich wandte sie den Kopf, um aus dem kleinen Rückfenster zu sehen. Doch dort spiegelte nur der Widerschein der Kutschenlaternen.
„Du meinst, John Chrestle – falls er tatsächlich noch leben sollte – folgt uns, um uns zu überfallen?“
„Oh nein – dazu ist er viel zu feige. Er wird uns nach London folgen und dort sein teuflisches Spiel wieder aufnehmen. Versuche jetzt ein wenig zu schlafen, Violet. Ich werde Charles auf dem Kutschbock ablösen.“
„Aber wenn das alles stimmt, wäre es doch Irrsinn, nach London zurückzukehren. Er wird dich in eine Falle locken.“
„Oh nein. Dieses Mal bin ich ihm einen Schritt voraus.“
Er küsste sie voller Zärtlichkeit auf den Mund und hüllte sie dann sorgfältig in die Kutschendecke ein. Gleich darauf befahl er Charles, die Pferde zu zügeln und nahm seinen Platz ein. Charles kroch zu Violet in die Kutsche, lehnte sich in die Ecke und begann auf der Stelle laut und intensiv zu schnarchen. Auch Violet wurde von einer bleiernen Müdigkeit erfasst, und sie fiel in einen leichten, unruhigen Schlummer, der immer wieder von unheimlichen Angstträumen unterbrochen wurde.
Sie war verzweifelt und wusste sich keinen Rat, denn es schien momentan so gut wie unmöglich, Nicholas von seinem Vorhaben abzubringen. Sie nahm sich vor, es gleich nach ihrer Ankunft in London noch einmal zu versuchen. Er würde dann todmüde sein, denn er hatte die Nacht über kein Auge zugetan. Wenn er geschlafen hatte, würde er sich vielleicht besinnen und vernünftigen Gründen zugänglich werden.
Der Vorsatz beruhigte sie. Trotz Charles’ Schnarchen und dem Geratter und Gerüttel der Kutsche schlief sie fest ein und erwachte erst, als die Kutsche anhielt. Helles Morgenlicht fiel durch die Fenster in das Innere des Wagens, aus der Ferne waren die wohlbekannten, tiefen Schläge von Big Ben zu hören, die verkündeten, dass es acht Uhr früh war. Charles streckte sich, gähnte ausgiebig und grinste sie dann fröhlich an.
„Ich hätte mir nicht träumen lassen, Miss Burke, dass ich mal mit Ihnen in einer Kutsche schlafen würde.“
„Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“, gab sie mit schwachem Lächeln zurück und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Dann erst bemerkte sie, dass sie keineswegs in der Warwick Street waren. Erstaunt blickte sie sich um – die Gegend kam ihr bekannt vor und doch hätte sie nicht sagen können, woher.
Marlow war vom Bock gestiegen und öffnete jetzt den Kutschenschlag für sie. Er sah bleich und übernächtigt aus, dennoch waren seine Bewegungen sicher und seine Stimme fest.
„Steig aus, Violet. Du wirst bis morgen hier bleiben – bitte frage mich nicht weshalb. Ich werde es dir später erklären.“
Sie war vollkommen überrumpelt. Hier? Wo war sie überhaupt?
„Aber …“
„Nun komm schon. Bitte!“
Er zog sie aus der Kutsche, fasste ihren Arm und führte sie hinüber zum Haus. Plötzlich erkannte sie die dreistufige Eingangstreppe wieder, das schmiedeeiserne Geländer, das Messingschild unter der Glocke. Wenige Minuten später empfing sie Jeremy Forch in Pantoffeln und Morgenmantel, das Haar noch zerwühlt, denn er hatte sich soeben erst aus dem Bett erhoben.
„Nicholas! Ich dachte, du wärest …“
„Kümmere dich bitte um sie, Jeremy“, unterbrach ihn Marlow hastig und schob Violet über die Schwelle. „Lass sie nicht aus den Augen. Ich bin in wenigen Stunden zurück.“
Damit war er ohne Abschiedsgruß davon.
Violet stand hilflos im Raum und sah zu, wie Jeremy Forch die Vorhänge beiseiteschob, um das Tageslicht in sein Wohnzimmer einzulassen. Draußen auf der Straße sah man Marlows beladene Kutsche stehen, sie war mit Schlamm und Straßendreck bespritzt, Wagen und Pferden waren die Strapazen der nächtlichen Fahrt deutlich anzusehen. Charles war ausgestiegen und kletterte soeben auf den Kutschbock.
„Es ist mir sehr unangenehm, Mr. Forch“, stotterte Violet. „Ich schwöre Ihnen, dass ich keine Ahnung hatte, dass Nicholas mich hier absetzen wollte. Ich verstehe auch den Grund nicht. Das Beste wird sein,
Weitere Kostenlose Bücher