Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
klein, noch zierlich, noch dunkelhaarig.
Die Tür wurde geöffnet und eine junge Angestellte betrat den Raum. Sie trug eine weiße Bluse und dazu einen dunklen Rock, das straff nach hinten gezogene Haar gab ihrem jugendlichen Gesicht einen Ausdruck kühler Strenge.
„Möchten Sie Tee, Miss Burke?“
Das Angebot klang weder freundlich noch einladend, eher wie eine Umfrage, die zu absolvieren war.
„Das wäre sehr liebenswürdig von Ihnen“, sagte Violet. „Können sie mir sagen, ob Mr. Marlow noch verhört wird?“
Die Angestellte musterte sie abschätzend.
„Sie meinen den Kerl, der die Prostituierte heute früh überfallen hat? Ja, der ist wohl noch in der Mache. Sind sie etwa eine Bekannte von dem?“
„Ja, das bin ich. Wie lange wird man ihn noch verhören?“
Die junge Frau zuckte die Schultern, auf ihrem Gesicht stand ein schwacher Anflug von Mitleid. Vermutlich dachte sie, dass Violet eines dieser armen Dinger war, die von solch einem Kerl ausgenutzt wurden und trotzdem mit verzweifelter Liebe an dem Gauner hingen.
„Das kann noch den ganzen Tag dauern, Miss. Vielleicht auch noch die Nacht – je nachdem. Er hat das Mädchen fast umgebracht, der Kerl.“
Violet fuhr auf.
„Sie ist nicht tot? Grace lebt?“
„Wussten Sie das nicht? Sie liegt in einer Klinik – aber gut schaut es nicht aus mit ihr. Verhören kann man sie jedenfalls nicht, weil sie das Bewusstsein verloren hat.“
Bebend vor Erleichterung sank Violet wieder auf ihren Stuhl zurück. Grace war noch am Leben. Wenn sie wieder zu sich kam, würde sie ganz sicher sagen, wer sie wirklich überfallen hatte.
„Möchten Sie Milch oder Zucker?“
„Beides, wenn möglich.“
Die Tür klappte hinter der Angestellten zu und Violet blieb mit wild klopfendem Herzen zurück. Es gab noch Hoffnung – großer Gott. Grace durfte nicht sterben.
Wenige Minuten später erschien Jeremy Forch im Zimmer, seine Bewegungen waren angespannt, er wirkte wie ein Jagdterrier, den man auf ein Wild angesetzt hatte.
„Gute Nachrichten“, sagte er. „Grace Dolloby lebt. Der Aussage des Gerichtsmediziners nach wurde sie heute früh zwischen sieben und acht in ihrem eigenen Bett überfallen und verletzt. Um acht war Nicholas aber noch in meinem Haus, darauf können wir beide jeden Eid schwören. Und bis in die Cullum Street hat er auf jeden Fall noch gut zwanzig Minuten Weg gehabt.“
Die Rechnung schien knapp, dennoch atmete Violet auf. Es schien tatsächlich noch nicht alles verloren.
„Wieso wird er überhaupt beschuldigt?“
Forch schnaubte ärgerlich durch die Nase.
„Er ist heute früh trotz des Widerstandes des Hausmädchens in Grace Dollobys Schlafzimmer eingedrungen und hat sie gefunden. Vermutlich hat er ihr damit sogar das Leben gerettet, sonst wäre sie verblutet. Aber der Dummkopf nahm das Messer in die Hand, das neben ihr lag, und in diesem Moment kam das Mädchen ins Zimmer. Sie hat die halbe Nachbarschaft zusammengeschrien und im Nu war die Polizei da.“
„Warum hat er das nur getan?“, seufzte Violet.
„Weil er ein Idiot ist“, grollte Forch. „Sie können ihn jetzt übrigens auf ein paar Worte sprechen. Die Verhöre wurden unterbrochen – mein Eingreifen hat die Herrschaften verunsichert und man hat sich zur Beratung zurückgezogen.“
Er führte sie durch den Flur und stieg mit ihr eine Treppe hinauf. Sie spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief; ihre Schritte hallten laut auf dem Steinboden, die Stäbe und Schnörkel des schmiedeeisernen Geländers schienen bewegliche Schatten, die an ihr vorüberflogen. Oben war es unruhig, in den Fluren wartete eine Anzahl jüngerer Männer in engen Hosen und bunten Westen, die wie Presseleute aussahen. Hier und da drang eine raue Männerstimme aus einem der Zimmer, es klang unfreundlich, doch die Herren von der Presse ließen sich nicht abweisen.
„Hier entlang“, sagte Forch und nahm sie sanft am Arm. „Und nicht erschrecken – er ist in Haft, und Sie werden nur durch ein Gitter mit ihm sprechen können.“
Er brachte sie in einen Vorraum, wo ein Beamter an einem Tischlein saß und ein Sandwich mit Braten verzehrte. Als sie eintraten, legte er seine Mahlzeit rasch zur Seite, stand auf und wischte sich den Bratensaft aus dem Schnauzbart.
„Guten Morgen, Sir!“
„Morgen, Bradstone. Essen Sie nur weiter, ich selbst begleite Miss Burke.“
„In Ordnung, Sir.“
Erleichtert hockte sich der Beamte wieder auf seinen Stuhl und langte nach dem Sandwich. Forch war zwar
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