Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
ihrem Magen entzündet.
„Es tut mir leid, Miss Violet. Ich hätte Ihnen das alles sehr viel sanfter beibringen sollen – aber wir haben wenig Zeit.“
„Es ist schon in Ordnung“, murmelte sie benommen.
„Wir werden jetzt gemeinsam zu Scotland Yard fahren“, erklärte er und nahm selbst einen Schluck aus dem Glas, bevor er es abstellte. „Ich würde Sie eigentlich lieber hier lassen, aber wie ich Sie kenne, hätten Sie vermutlich doch keine Ruhe. Außerdem habe ich Nicholas versprochen, auf Sie aufzupassen.“
Violet nickte und versuchte, den Schwindel loszuwerden, der immer noch in ihrem Kopf herumwühlte.
„Es kann sich doch nur um einen schrecklichen Irrtum handeln, Mr. Forch. Wir werden ihnen erklären …“
„Sie werden gar nichts erklären, Miss Violet“, sagte er mit Nachdruck. „Haben Sie das verstanden? Jedes unbedachte Wort kann verhängnisvoll für Nicholas sein. Überlassen Sie das Reden mir. Oh verflucht – wir haben diesen Teufel gründlich unterschätzt.“
„Glauben Sie … er steckt dahinter?“
„Es wäre ein unglaublicher Zufall, wenn es nicht so wäre. Sind Sie jetzt soweit? Können wir aufbrechen?“
„Mir geht es gut.“
Es war gelogen, denn sie fühlte sich grauenhaft. Aber die Hoffnung, dass Forch etwas für Nicholas tun könne, gab ihr Kraft, die Mattigkeit zu überwinden. Sie erhob sich und ging langsam in den Flur, wo Forch ihr den Mantel umlegte und sie dann am Arm fasste.
„Sie sind eine tapfere, kleine Person, Miss Burke“, murmelte er, während er sie behutsam die Eingangsstufen hinunterführte. „Ich weiß gar nicht, ob Nicholas solch ein Mädchen verdient hat.“
„Wie können Sie so etwas sagen?“
Er winkte einen Hansom herbei und sprach während der Fahrt kein einziges Wort mit ihr. Schweigend starrte er aus dem Fenster, zuckte nur hin und wieder mit einem Augenlid und schien Violet neben sich völlig vergessen zu haben. Es war ihr recht, denn sie hätte keinen vernünftigen Satz von sich geben können – das Entsetzen über Grace’ Schicksal und die Angst um Nicholas wühlten so heftig in ihr, dass sie sich wie gelähmt fühlte. Nur eine Tatsache trat klar und deutlich in ihr Bewusstsein: Man würde nun alle Verdachtsmomente gegen Nicholas zusammenfügen und die Chancen, seine Unschuld zu beweisen, waren winzig klein.
Scotland Yard erschien ihr wie ein verwirrendes Labyrinth von düsteren, verwinkelten Fluren, in denen Männer in kurzen Jacken und Ärmelschonern umherliefen, Stapel mit Akten vor sich hertrugen und hinter grauen Türen wieder verschwanden. Wäre Forch nicht an ihrer Seite gewesen – sie hätte sich rettungslos in diesem Wirrwarr verlaufen.
Er führte sie in ein karg möbliertes Vorzimmer, wies ihr einen Stuhl an und beorderte sie, zu warten und sich ja nicht aus dem Raum zu bewegen.
„Ich möchte mit Nicholas sprechen“, bat sie.
„Später vielleicht“, sagte er kurz angebunden. „Momentan wird er sicher verhört und das kann sich noch eine Weile hinziehen. Ich hole Sie ab, wenn ich soweit bin.“
Damit verschwand er und ließ sie allein zurück. Beklommen ließ sie sich auf dem einfachen Holzstuhl nieder und ihr Herz krampfte sich vor Kummer zusammen. Sie verhörten ihn, versuchten, ihn mit Drohungen und Beschuldigungen in die Enge zu treiben, quälten ihn stundenlang mit immer den gleichen Fragen. Wie lange würde er das aushalten? Er musste vollkommen erschöpft sein nach der schlaflosen Nacht.
Sie sah sich im Raum um. Es gab einen abgenutzten Aktenschrank, in dem einige Bücher und verschiedene seltsame Andenken aufgereiht waren. Daneben befand sich ein niedriger Holztisch, der mit braunen Teeflecken übersät war, auch standen zwei benutzte Becher und ein nicht geleerter Aschenbecher darauf. Über der Eingangstür hatte man einen Kunstdruck aufgehängt, der das Porträt der Königin zeigte. Die Herrin des Empire blickte mit ernstem Ausdruck zum gegenüberliegenden Fenster hinaus.
Violet dachte an Grace und wieder wollte sie der Kummer überwältigen. Ihre Freundin Grace, die sich so rührend um sie gekümmert hatte, als ihre Eltern starben. Ach, Grace hatte so viele gute Seiten gehabt, und sie, Violet, hatte ihre Freundin so schmählich verlassen. Sie waren gestern im Streit auseinandergegangen – nun würde es niemals wieder die Möglichkeit geben, Grace zu sagen, wie leid ihr alles tat.
Wieso hat er Grace getötet, fiel ihr plötzlich ein. Sie passt überhaupt nicht in das Schema des Mörders. Sie ist weder
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