Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
sagte er und wies mit der Hand auf die letzte Tür, die sie noch nicht geöffnet hatte. „Sehr gemütlich ist es nicht – falls Sie einmal Langeweile haben sollten: Es gibt oben im dritten Stock ein hübsches Kämmerchen, wo wir beide unsere Freude haben könnten.“
„Wie können Sie es wagen?“, rief sie zornig. „Verschwinden Sie!“
Jetzt ging er wirklich hinunter, seine schweren Schritte ließen die Treppenstufen knarren und Violet wartete, bis er ganz unten war, bevor sie die Tür ihres Zimmers öffnete.
Nach den erschreckenden Entdeckungen in den übrigen Räumen hatte sie eine verkommene Dachkammer erwartet, doch der Raum war hübsch möbliert. Auf dem Kaminsims stand ein runder Messingspiegel, das altmodische Himmelbett war frisch bezogen und es gab weder Spinnweben an den Wänden noch Schmutzflecken auf dem hell gemusterten Teppich. Das Fenster ging nach Norden, weshalb sie kaum Sonnenlicht haben würde, doch die weißen Voilegardinen wirkten wie ein zarter Schleier, von mattroten Vorhängen umrahmt.
Aufatmend zog sie die Tür hinter sich zu, ging zum Fenster und schob die weiße Schleiergardine ein wenig zur Seite. Unten war ein schmaler, gepflasterter Hof, der von einer Ziegelmauer begrenzt wurde. Dahinter standen einige hohe, dunkelgrüne Wacholderbüsche, die bereits zum Nachbargrundstück gehörten.
Keine besonders aufregende Aussicht – aber sie würde sicher nicht viel Zeit in diesem Zimmer verbringen. Sie untersuchte das Bett, setzte sich darauf und schaukelt ein wenig – die Matratze schien neu und ausgezeichnet zu sein. Ansonsten war das Bett ein schrecklich altmodisches Teil. Vier gedrechselte Pfosten trugen einen Betthimmel aus rötlichem Holz, von dem ein dunkelroter, üppig gefalteter Stoffvolant herabhing. Violet überlegte, ob es vielleicht ein Familienerbstück war. Wer mochte dort alles schon gelegen haben?
Außer dem Bett gab es einen dunklen, altertümlichen Kleiderschrank, der sich knarrend öffnete, als sie an der Schranktür zog. Weiße Tücher lagen zusammengefaltet in einem Fach, daneben die dunkelrote, geflochtene Schnur eines Klingelzuges, der offensichtlich benutzt worden war, um etwas damit festzubinden, denn es waren Knoten darin.
Die beiden oberen Schubladen der schlichten, braunen Kommode waren wie erwartet leer, doch als sie die unterste Lade öffnete, stellte sie fest, dass sie voller weißer Wäsche war.
Verblüfft kniete sie sich auf den Boden und zog ein Wäschestück nach dem anderen heraus um es zu betrachten. Es waren teure Spitzenkorsagen, wie sie sie bisher noch niemals in den Händen gehabt hatte, seidene Unterhemden, zarte Höschen und Nachthemden aus einem ihr unbekannten, fast durchsichtigem Stoff, der kühl und leicht durch die Finger lief.
Das war die Wäsche einer Lady. Wer immer auch die Besitzerin dieser schönen Dinge sein mochte – es konnte nur so sein, dass Maggy vergessen hatte, sie aus der Kommode zu räumen.
Violet faltete jedes Teil sorgfältig wieder zusammen und legte es in das Schubfach zurück. Ob die Lady dieses durchsichtige Nachthemd tatsächlich völlig ohne Unterwäsche getragen hatte?
Es war eine aufregende Vorstellung und Violet spürte, wie ihre Wangen heiß wurden und ihr Herz rascher pochte. Für wen sie es wohl getragen hatte?
Für wen schon?, dachte sie verbittert. Sagte Grace nicht, dass Marlow bereits eine ziemlich Menge von Frauen aus ihrer Bekanntschaft besucht hatte? Ob er diese Wäsche vielleicht gar für Grace gekauft hatte? Der Gedanke war so abwegig nicht, denn Grace bekam häufig von ihren Kunden teure und verführerische Kleider geschenkt.
Violet schloss die Schublade wieder in dem festen Entschluss, Maggy sofort anzuweisen, diese Wäsche an einen anderen Ort zu bringen. Auf keinen Fall wollte sie dieses Zeug hier in ihrem Zimmer behalten.
Da ihre Sachen noch nicht angekommen waren, hatte sie hier nichts weiter zu tun. Sie beschloss, nach unten zu gehen, sich die Küche und Wirtschaftsräume anzusehen und nachzufragen, wann Mr. Marlow gedachte, wieder nach Hause zu kommen. Sie hatte schrecklichen Hunger, doch sie wagte es nicht, sich eine Mahlzeit bringen zu lassen, denn sie vermutete, dass Marlow die Absicht hatte, das Abendessen mit ihr gemeinsam einzunehmen.
Es war bereits Nachmittag und das Licht begann – der späten Jahreszeit entsprechend – abzunehmen. Sie ging durch den schmalen Flur, der jetzt fast dunkel war, schauderte bei der Erinnerung an die obszönen Statuen in der Abstellkammer und
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