Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
wenigstens rechtzeitig zu hören, suchte eines ihrer langen Baumwollnachthemden heraus und begann, sich auszukleiden. Sie tat es rasch und vermied es, dabei in den kleinen Metallspiegel auf dem Kaminsims zu sehen, der für einen kurzen Moment ihren nackten Körper reflektierte. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass es ungehörig war, den eigenen Körper zu betrachten.
Bevor sie die Kerze auslöschte, betrachtete sie den gewölbten Betthimmel, der über ihr wie eine mit dunkelrotem Stoff ausgekleidete Schale hing. Diese schwebende Wölbung schien ihr etwas Beschützendes, zugleich aber Verschlingendes zu haben, und sie war unsicher, ob sie ihr Furcht oder Vertrauen einflößte. Auf jeden Fall wäre es ihr lieber gewesen, in einem ganz normalen Bett zu schlafen.
Ihr Schlaf war unruhig und voller erschreckender Traumbilder. Mr. Summers schmales Gesicht tauchte vor ihr auf, sie sah seine dürre Hand, die zehn Schillinge auf den Tisch zählte, doch dann verwandelten sich die Geldstücke in silberfarbige Käfer und krabbelten über den Schreibtisch auf sie zu. Sie sprang erschrocken zurück und hörte dabei das meckernde Lachen von Mr. Spyker, gleich darauf sah sie Jamie am Klavier sitzen und wie wild auf einen runden Messingspiegel einschlagen. Die Scherben des zerbrochenen Spiegels bedeckten den Boden, sie hörte ein knirschendes Geräusch, als ginge jemand mit festen Stiefeln durch das zerbrochene Glas und plötzlich schienen alle Scherben ein blasses Männergesicht mit tief liegenden, bohrenden Augen zu zeigen. Hundertfach gespiegelt starrten diese Augen sie an, drangen in sie ein und lasen alle, auch die intimsten, Gedanken.
Sie erwachte schweißgebadet, schob die Decke bis zu den Knien hinab und atmete tief. Was für ein Durcheinander skurriler Bilder! Wenn sie doch nur endlich ruhig schlafen könnte.
Es war nicht völlig dunkel im Zimmer, durch die Ritzen der Fenstervorhänge drang ein schwacher, gelblicher Schein, der vermutlich von einer Straßenlaterne herrührte. Sie ließ den Blick über die dunklen Schattenformen der Möbel schweifen, stellte fest, dass die Kommode an Ort und Stelle stand, und schloss dann wieder die Augen.
Plötzlich jedoch schien es ihr, als spüre sie einen sanften Luftzug und sie überlegte, ob das Fenster vielleicht nicht ganz geschlossen war. Träge blinzelte sie in die Dämmerung, sie war viel zu müde, um jetzt aufzustehen und nach dem Fenster zu sehen.
Waren ihr die Augen wieder zugefallen? Sie glaubte zu spüren, wie ein Schatten durch den Raum glitt, als wehe ein Vorhang im Wind. Ein Zittern erfasste sie, sie wollte sich die Decke wieder bis über die Brust hinaufziehen, doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Es musste ein Traum sein. Einer jener Albträume, in denen man die Gefahr zwar vor sich sieht, sie aber trotz aller Anstrengungen nicht abwenden kann.
Ein leises Scharren war zu hören, eine Gestalt löste sich aus dem schwarzen Rechteck der Tür, trat seitlich davon als dunkle Silhouette hervor und verharrte unbeweglich. Sie spürte, wie eine Gänsehaut über ihren Körper kroch und die kleinen Härchen auf ihrer Haut sich aufrichteten. Lange, unendlich lange, verblieb die Erscheinung ohne eine Regung, schien nur ein Schattenriss in der Dämmerung, ein gespenstischer Nachtmahr, der sich in Nichts auflösen würde, sobald man eine Kerze entzündete.
Dann kam Bewegung in die Gestalt, sie wuchs empor, näherte sich ihrem Bett und sie spürte plötzlich, wie ein Stoff ihre rechte Hand streifte. Ein unbekannter Duft wehte zu ihr hinüber, ein männlicher Geruch, der vorher nicht im Raum gewesen war. Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie glaubte, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Sie konnte nicht mehr entkommen, es stand direkt vor ihrem Bett, verstellte ihr jede Möglichkeit zur Flucht.
Bebend lag sie in den Kissen, schutzlos, denn die Decke war fast ganz herabgezogen, nur das lange Baumwollnachthemd bedeckte ihren Körper, doch der Stoff konnte ihr heftiges Atmen nicht verbergen. Hatte sie die Augen geöffnet oder sah sie mit geschlossenen Lidern? Sie wusste es nicht, doch sie glaubte deutlich zu erkennen, dass die Gestalt eine schwarz behandschuhte Hand nach ihr ausstreckte.
Die Angst lähmte sie, sie lag steif ausgestreckt, überzeugt davon, im nächsten Augenblick sterben zu müssen. Die Hand berührte sacht ihre Stirn, fuhr über ihre rechte Schläfe, folgte ihrem Kinn und lag einen winzigen Moment lang auf ihren bebenden Lippen. Dann spürte sie das glatte
Weitere Kostenlose Bücher