Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
erhoffen.
Pünktlich um elf Uhr klopfte die Schneiderin an ihre Tür. Sie war eine zierliche, ältere Person mit magerem Gesicht, grauen Löckchen und hellblauen Augen, die beständig in alle Richtungen herumirrten.
„Ich bin Mrs. Murdstone“, stellte sie sich vor. „Meine Güte, was für ein Figürchen! Das ist ja die reine Freude, für ein so hübsches Püppchen zu nähen.“
Es stellte sich heraus, dass Nicholas Marlow fünf Kleider in Auftrag gegeben hatte, zwei davon mit passenden Jacken und dazu einen Mantel. Mrs. Murdstone war ebenfalls für den Kauf des Schuhwerks und der Hüte verantwortlich, sowie für die Beschaffung anderer notweniger Accessoires, von denen sie eine Kollektion mit sich führte. Sie breitete Handschuhe, Schärpen, Täschchen und Spitzenkragen vor der erstaunten Violet aus, riet ihr zu Gamaschen und einem kleinen Pelzkragen für den Mantel.
„Wenn Sie so freundlich wären, das Kleid abzulegen, damit ich besser Maß nehmen kann.“
Violet war überwältigt. Sie würde ein Hauskleid, zwei Kleider für den Nachmittag, eines zum Ausgehen und ein festliches Kleid für den Abend erhalten, die Stoffe hatte Mr. Marlow bereits ausgewählt, der Zuschnitt war mit Mrs. Murdstone abgesprochen. Wie die Schneiderin ihr versicherte, handelte es sich in allen Fällen um beste Qualität, das Abendkleid wäre aus roter Seide, die sich bezaubernd zu ihrem dunklen Haar machen würde. Alle Kleider würde sie nach der neuesten Mode nähen, eines davon ganz in Hellblau, ein anderes in Cremeweiß, die übrigen in Altrosé und Flaschengrün.
„Es wird Ihnen wundervoll stehen, junge Lady“, versicherte ihr Mrs. Murdstone, während sie ihre Maße in ein Büchlein eintrug. „Mr. Marlow hat einen auserlesenen Geschmack, was Damenbekleidung angeht. Ich habe früher oft für ihn gearbeitet und er war immer sehr zufrieden.“
„Natürlich.“
Sie dachte an die feine Wäsche in der Kommode und konnte sich gut vorstellen, dass Mr. Marlow in Bezug auf seine Damen großzügig gewesen war. Ein Gefühl der Beklommenheit stieg in ihr auf. Er hatte sie als Hausdame engagiert. Er hatte behauptet, kein Interesse an ihr zu haben. Weshalb aber ließ er ihr dann so aufwendige, schöne Kleider schneidern? Und weshalb hatte sich diese teure Wäsche in ihrer Kommode befunden? Hatte man sie dort tatsächlich nur vergessen?
„Ach, ich schwatze wieder viel zu viel“, unterbrach Mrs. Murdstone ihre Überlegungen und ihre Augen irrten durch das Zimmer, um an dem Himmelbett hängen zu bleiben. „Wenn Sie bitte noch einmal den rechten Arm heben würden, damit ich messen kann.“
Violet hielt geduldig still, bis die Schneiderin alle notwenigen Maße in ihr Büchlein eintragen hatte, hörte sich währenddessen einigen Tratsch über Damen der Londoner Gesellschaft an, und grübelte darüber nach, welche Aufträge Mrs. Murdstone wohl für Marlow ausgeführt haben könnte. Ob einige seiner Geliebten gar hier in diesem Haus gewohnt hatten? Warum nicht? Wahrscheinlich hatte er sich eine Weile mit ihnen vergnügt und sie dann hinausgeworfen. Oh Gott – Grace hatte recht gehabt. Er war ein Mensch, vor dem man sich in acht nehmen musste.
Wollte er sie verführen? Aber warum war er dann so ausgesprochen unfreundlich zu ihr? Hätte er sie dann nicht eher umwerben und ihr schmeicheln müssen? Ach, man wurde aus diesem Menschen nicht schlau.
„Die Kleider sind schon in wenigen Tagen fertig“, schwatzte Mrs. Murdstone, die ihr Büchlein mit einem Aufseufzer zugeklappt und in ihrem Beutel verstaut hatte. „Ich beschäftige zehn junge Näherinnen, Miss Burke. Sie arbeiten Tag und Nacht, wenn ein Auftrag eilig ist. Ich könnte Ihnen auch einige hübsche Korsagen und Unterröcke nähen, denn das was Sie jetzt tragen, mit Verlaub gesagt, passt nicht so recht zu den neuen Kleidern.“
„Vielleicht später“, sagte Violet. „Vielen Dank, Mrs. Murdstone.“
Die Schneiderin machte sich mit vielen Komplimenten und Versprechungen davon und Violet trat vor den Kamin, um sich in dem kleinen Messingspiegel zu betrachten. War ihre Figur wirklich so hübsch, wie die Scheiderin gesagt hatte? Ach, sicher erzählte sie das jeder Kundin, solche Komplimente gehörten einfach zum Geschäftsgebaren dazu.
Die Tür wurde aufgerissen ohne dass angeklopft worden wäre und sie fuhr erschrocken herum. Charles stand auf der Schwelle, einen Schlüsselbund in der Hand, und grinste sie schamlos an.
„Nicht erschrecken, meine Hübsche“, sagte er und starrte
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