Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
von ihnen waren noch Kinder, was sie nicht daran hinderte, von dem Fusel zu trinken, der die Runde machte. Alle warteten hier in der Hoffnung, sich als Träger ein paar Pennys zu verdienen.
„Ein Fall für Mrs. Wickfield“, murmelte Marlow zynisch. „Ein Teller warme Suppe würde das Elend dieser armen Burschen ganz gewiss beenden.“
Violet schwieg betroffen. Natürlich würde ein Teller Suppe wenig am Schicksal dieser Kinder ändern. Und doch war es immer noch besser, als gar nichts zu tun. Marlow schien wenig Lust zu haben, diesen Punkt zu diskutieren, denn er führte sie ohne eine weitere Bemerkung ins Innere der Halle. Hier schloss er umständlich seinen Schirm, schüttelte ihn aus und ließ Violets Arm los.
„Schön neben mir bleiben“, ordnete er an.
Sie gehorchte – was im Gedränge gar nicht so einfach war. Besonders die Frauen, die mit gefüllten Körben unterwegs waren, und wenig Lust hatten, zur Seite zu gehen, nötigten sie immer wieder, von Marlows Seite zu weichen und kleine Umwege zu gehen. Dann blieb er ärgerlich stehen, wartete ungeduldig, bis sie im Gedränge wieder auftauchte, und fasste sie für kurze Zeit an der Hand.
Was er hier wollte, war ihr schleierhaft. Interessiert bewegte er sich zwischen den Ständen umher, besah Äpfel, Kohl oder Karotten, betrachtete Töpfe mit gezuckerten oder eingelegten Früchten, roch an Gewürzen und Kräutern und erkundigte sich ausführlich nach der Qualität des angebotenen Honigs. Überall fragte er nach ihrer Meinung, wies sie auf diese oder jene Ware hin und zeigte dann wieder zu den hohen, glasgedeckten Stahlbögen hinauf, die sich über ihnen wölbten, und begann, deren Konstruktion zu erläutern. Eine Weile standen sie, um einer Gruppe von Schaustellern zuzusehen, die mitten in der Halle lauthals grobe Späße zum Besten gaben, das Gedränge dadurch noch vergrößerten und immer wieder lautes Gelächter hervorriefen.
Marlow spendete zwar den Schaustellern ein paar Pennys, kaufte jedoch nicht ein einziges müdes Äpfelchen, obgleich Violet vom Anblick des leckeren Obstes schon das Wasser im Mund zusammenlief. Erst als sie das Ende der Halle erreicht hatten, suchte er einen der vielen Blumenverkäufer und erwarb dort einen kleinen Strauß gelber Chrysanthemen, den er ihr mit gönnerhaftem Lächeln überreichte.
„Die Blumen passen gut zu deiner Haarfarbe, kleine Nichte“, sagte er mit gönnerhaftem Lächeln, das ihm sofort verging, als er bemerkte, dass Violet errötete.
„Vielen Dank, Mr. Marlow.“
Violet trug die Blumen in der Hand, während sie nun wieder an seinem Arm eingehängt und von ihm beschirmt den Heimweg antrat. Sie stellte fest, dass es angenehm war, an seiner Seite zu gehen, denn er bemühte sich, ihr den Weg so weit wie möglich zu erleichtern. Stets ging er an der Straßenseite, um sie vor vorüberrasselnden Gefährten zu schützen, er sorgte dafür, dass sie keine Pfütze durchqueren musste und niemals war sie ohne den Schutz des großen Schirmes, den er über sie beide hielt.
Sie waren schon fast wieder zuhause, da blieb er an der Ecke der Regent Street vor dem Schaufenster eines Antiquariats stehen.
„Warten Sie hier – ich bin gleich wieder da“, erklärte er und drückte ihr den Schirm in die Hand.
Verärgert stand sie auf der Straße und schaute durch das Schaufenster in den Laden hinein. Dort stand Marlow in angeregtem Gespräch mit dem Buchhändler und ließ sich einige dicke Folianten zeigen, blätterte in ihnen herum und seine Augen glänzten vor Begeisterung. Natürlich – wenn es um Bücher ging, brauchte die kleine Nichte nicht in seiner Nähe zu sein. Frauen hatten ja weniger Gehirnmasse aufzuweisen – was also sollten sie wohl mit einem Buch anfangen, außer es gelegentlich abzustauben?
Immerhin waren im Schaufenster einige gebrauchte Notenbände ausgestellt und sie besah sich interessiert die Preise. Vielleicht würde sie sich ja bald einige davon leisten können? Immerhin hatte sie eine gut bezahlte Stelle und würde in einigen Wochen ihren ersten Lohn erhalten.
„Miss Burke. Ich hätte Sie ja fast nicht wiedererkannt!“
Sie drehte sich rasch um und erblickte zu ihrer Überraschung Mr. Barney, der in einem leicht abgetragenen Regenmantel vor ihr stand und sie anlächelte. Er wirkte in diesem Aufzug wie ein harmloser, verträumter Junge, und sie musste sich heftig zusammennehmen, um ihm ihren Widerwillen nicht allzu deutlich zu zeigen.
„Mr. Barney! Was für eine Überraschung. Was treibt
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