Schwarze Schafe in Venedig
nicht mal, wer ich bin.« Geistesabwesend zupfte sie sich an der Unterlippe. »Armer Charlie.«
»Ja, Sie sind wirklich ein kriminelles Superhirn.«
Worauf sie mit den Lidern klimperte und tat, als errötete sie bescheiden. »Aber keine Sorge. Ich bin kein Freund der Polizei. Und der Ladenbesitzer ... Pff. « Herablassend wedelte sie mit der Hand. »Ein ungehobelter Kerl. Es besteht also keinerlei Gefahr für Sie. Und ich verrate Ihnen meinen Namen, wenn Sie möchten.«
»Ihren richtigen Namen?«
»So misstrauisch.« Wobei sie mit dem Zeigefinger wackelte und dann mit dem Fingernagel auf mein Buch einstach. Genauso gut hätte sie auch herzhaft darauf herumkauen können. »Ich heiße Graziella. Und Sie bekommen Ihr Buch zurück.« Sie unterbrach sich und strich den Schutzumschlag mit den Fingern glatt. »Wenn Sie genau das tun, was ich von Ihnen verlange.«
Komisch – vor Jahren, als ich gerade anfing zu schreiben und verzweifelt einen Verlag suchte, hatte ich hin und wieder erotische Geschichten für diverse Zeitschriften geschrieben, die häufig ganz ähnlich begannen. Aber ihren üppigen Kurven und dem koketten verspielten Benehmen meiner kriminellen Julia auf dem Balkon gegenüber zum Trotz, glaubte ich kaum, dass sie gleich verlangen würde, ich solle mich auf der Stelle ausziehen und an ihrem Oberschenkel knabbern. Zum einen hatte sie bereits das zweifelhafte Vergnügen gehabt, mich halb nackt zu sehen, und zum anderen war mir ein derartiges Glück einfach nicht vergönnt.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich.
Sie beobachtete mich einen Moment, ihre Augen wurden schmal, und ihre Pupillen flackerten, als ringe sie mit sich. »Auf dem Boden gleich zu Ihren Füßen steht ein Aktenkoffer.« Ich schaute nach. Und tatsächlich, in einem dunklen Winkel des Balkons verborgen sah ich einen Aktenkoffer aus Metall. Es war einer, wie er gerne in Blockbuster-Filmen Verwendung findet, mit einer Handschelle am Handgelenk eines stinkreichen Gauners im Doppelreiher, zwei Bodyguards in Übergröße links und rechts als Begleitung. »Das bringen Sie zum Palazzo Borelli am Canal Grande. Die Sicherheitsvorkehrungen sind kaum der Rede wert.«
Sie hob den Zeigefinger. »Aber Sie müssen vorsichtig sein. Sehr vorsichtig. Es darf Sie niemand sehen – das ist das Allerwichtigste. Es gibt einen Tresorraum im piano nobile – der Hauptetage des Palazzo.«
»Halt, halt«, rief ich heftig mit den Händen wedelnd. »Das geht mir etwas zu schnell. Ich habe Ihnen doch gesagt – ich war mal Einbrecher. Ich weiß ja nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, aber ich bin nicht mehr im Geschäft, ich stehle nichts mehr.«
»Aber das ist doch perfekt«, erwiderte sie mit strahlenden, schelmisch funkelnden Augen.
»Wieso das?«
»Weil Sie gar nichts stehlen sollen. Ich möchte nur, dass Sie diesen Koffer zurückbringen.«
Na toll, immer diese Wortklaubereien. Zuerst war ich in den Buchladen eingebrochen, um mein Buch zurückzuholen . Nun sollte ich in ein venezianisches Luxusanwesen einbrechen, um einen Aktenkoffer zurückzubringen.
»Wollen Sie mir verklickern, dass der dem Besitzer des Palazzo gehört?«
»Graf Frederico Borelli.« Sie erschauderte. »Der Palazzo gehört ihm. Und der Koffer auch.«
» Okay« , brummte ich und überlegte, dass das wohl einer der verrücktesten Aufträge sein musste, die ich je das Missvergnügen hatte, mir anhören zu müssen. »Und warum bringen Sie ihn nicht selbst zurück?«
Bei diesem Vorschlag wand sie sich unbehaglich. »Weil er nicht weiß, dass er weg ist. Dass ich ihn mitgenommen habe.«
» Sie haben ihn mitgenommen?«
Worauf sie mich wütend anfunkelte und mit der Faust auf den Steinsockel haute. »Sie stellen zu viele Fragen. Bitte. Es ist ganz einfach. Sie bringen den Koffer für mich zurück, und ich gebe Ihnen Ihr blödes Buch wieder.«
»Hey! Dieser Roman ist sehr wichtig. Er ist bedeutsam. Und das nicht nur für mich.«
Sie zuckte die Achseln und schien nicht im Geringsten beeindruckt.
»Lassen Sie mich mal kurz nachdenken.« Ich stützte das Kinn auf die Fingerknöchel, als zerbräche ich mir den Kopf über ein schrecklich kompliziertes Dilemma. »Also, die Sache ist die. Sie sind Einbrecherin, und wie ich weiß, haben Sie durchaus Talent – wie Sie in meine Wohnung eingestiegen sind und sich nachher abgeseilt haben, das hätte ich nie im Leben hinbekommen. Außerdem kennen Sie sich hier aus. Warum also soll ich den Koffer zurückbringen? Sie verheimlichen mir doch
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