Schwarze Schafe in Venedig
Wir waren einander nahe genug, um uns zu unterhalten, aber selbst in meinen besten Zeiten, mit einem gewaltigen Anlauf und mit Industriefedern unter den Füßen, hätte ich den Kanal, der uns voneinander trennte, nicht überspringen können. Ich warf einen Blick auf das Spinnennetz aus Wäscheleinen, Telefonleitungen und Stromkabeln, das sich zwischen den beiden Häusern spannte, aber keins davon hätte mein Gewicht getragen.
»Haben Sie keine Angst, dass uns jemand hört?«, fragte ich. »Ich nehme mal an, das ist nicht Ihre Wohnung. Was, wenn die Nachbarn misstrauisch werden?«
» Oohh , da haben Sie Recht.« Ihre Augen wurden groß und rund, als fände sie Gefallen an der Vorstellung. »Vielleicht sollten wir flüstern? Wie Spione.«
»Oder wir BRÜLLEN GANZ LAUT«, schrie ich und überraschte uns wohl beide mit meinem unerwarteten Ausbruch.
Meine Stimme stürzte in die Häuserschlucht zwischen den hohen Gebäuden entlang des Kanals und hallte vom Wasser wider wie ein panisches Tier, das durch einen Tunnel hetzte.
»Still!« Ihre Finger umklammerten den harten Steinsockel. Als niemand den Kopf aus einem der Fenster streckte, um uns anzuschreien, schüttelte sie betrübt den Kopf und funkelte mich finster an. »Es wird nicht gebrüllt«, sagte sie mit leiser, beherrschter Stimme.
»Ach.« Ich zog die Schultern hoch. »Und warum nicht?«
»Weil Sie sicher nicht verhaftet werden möchten, oder?«
»Vielleicht bin ich ja leichtsinnig. Muss ich wohl, wo ich doch hergekommen bin.«
»Kann sein«, sagte sie, streckte den Rücken durch und die Brust raus, »aber da wäre auch noch Ihr Buch.« Und damit öffnete sie den Reißverschluss ihrer Schultertasche, und gleich darauf fiel mein Blick auf den vertrauten gelben Schutzumschlag in ihrer Hand. Alle Erleichterung, meinen Malteser Falken wiederzusehen, verflog auf der Stelle, als ich sah, dass sie ihn aus seinem sicheren luftdichten Rahmen genommen hatte. Geradezu schmerzlich war ich mir der drei winzig kleinen Risse im Buchrücken bewusst, die womöglich noch weiter einreißen könnten, wenn sie das Buch nicht sorgsam behandelte. Außerdem trug sie keine Handschuhe, weshalb ich fürchtete, sie könne mit ihren fettigen Fingerspitzen Abdrücke auf der pechschwarzen Falkenillustration hinterlassen. Zwar war ich kein Experte, aber ich wusste, dass schon ein minimaler Knick den Wert um etliche Tausend Pfund mindern konnte.
Doch ehe ich auf die erhebliche Gefahr hinweisen konnte, der sie das Buch gerade aussetzte, hatte sie den Arm auch schon schwungvoll über die Balkonbrüstung gestreckt und hielt mein Buch über das trübe Wasser in der Tiefe. »Und, wollen Sie nun immer noch schreien?«, meinte sie spöttisch.
»Das würden Sie nicht wagen.«
»Hoppla.« Und damit löste sie die Finger, nur um gleich wieder beherzt zuzupacken, ehe das Buch hinunterfallen konnte. Dann leckte sie sich die Lippen und legte die Stirn in hoch konzentrierte Dackelfalten. »Ooh, ist das schwer. Fast schon zu schwer. Wie leicht könnte es runterfallen.«
»Also gut«, blaffte ich sie an. »Ich hab’s kapiert. Es reicht.«
Sie wedelte mit dem Buch in der Luft herum. »Dann hören Sie mir also jetzt zu?«
»Ich höre.«
»Und Sie schreien nicht mehr rum?«
»Wie Sie möchten.«
» Buono.« Und damit reckte sie das Näslein in die Luft und drückte das Buch liebevoll an die Brust und wiegte es sanft wie ein kleines Baby, das sie mit einem Schlummerlied in den Schlaf singen wollte. Ich versuchte krampfhaft nicht daran zu denken, wie schlimm sie wohl gerade den Schutzumschlag verknitterte. »So, Sie sind also ein Dieb, ja?«
Unbehaglich trat ich von einem Fuß auf den anderen. »War ich vielleicht mal. Heute bin ich nur noch Autor.«
Sie zog einen Schmollmund. »Aber ich habe Sie beobachtet im Buchladen. Sie hatten keinen Schlüssel, nehme ich an. Und Sie sind vor der Polizei weggelaufen.«
»Weil Sie mich in die Falle gelockt haben«, entgegnete ich. »Sie haben mir vorgegaukelt, das Buch sei dort.«
»Aber ich glaube nicht, dass die Polizei Ihnen das abkaufen würde. Ich weiß, wie Sie heißen, Charlie Howard, und wo Sie wohnen. Meinen Sie, die polizia würde Sie wiedererkennen? Haben die Ihr Gesicht gesehen?«
Darauf zu antworten schien mir müßig. Sie hatte ihren Standpunkt deutlich gemacht.
»Ach ja«, fügte sie hinzu und klopfte dem Hammett auf den Rücken, »und dann habe ich ja das noch.«
»Eindrucksvolles Arsenal«, brachte ich mühsam hervor.
»Sie dagegen wissen
Weitere Kostenlose Bücher