Schwarze Schafe in Venedig
kleines verchromtes Ding, das aussah wie ein winziges Diktiergerät. »Die Reichweite beträgt fünfhundert Meter.«
»Und das Ding, das aussieht wie ein Kugelschreiber?«
»Ist ein Kugelschreiber.«
Meine Augenbrauen wollten sich schier verknoten, während ich ihr mit einem Blick zu verstehen zu geben versuchte, sie solle mich bloß nicht auf den Arm nehmen.
»Also gut«, meinte sie schließlich mit einer abwehrenden Geste. »Die Spitze enthält ein hochwirksames Beruhigungsmittel.«
»Herrjemine. Und die Zigaretten?«
Es waren drei an der Zahl, perfekt parallel ausgerichtet und festgeklettet. Die Filter waren mattweiß und mit zwei schmalen goldenen Ringen verziert, aber abgesehen davon wirkten sie verblüffend unauffällig.
Victoria zog den Kopf ein. »Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich keine Ahnung habe, wozu die gut sind?«
»Im Ernst?«
»Ja, obwohl ich dir nicht empfehlen würde, sie zu rauchen. Die habe ich mir gegönnt. Ich habe sie in der Vitrine liegen gesehen und konnte einfach nicht widerstehen.«
»Und du hast nicht nachgefragt?«
»Ich habe mich aufgeführt wie ein kleines Kind im Süßigkeitenladen. Ich habe auf alles gezeigt und nur noch ›Haben wollen‹ gesagt.«
»Herrje, der Besitzer fand dich sicher zum Fressen.«
»Sein Schaden war es jedenfalls nicht.« Sie zuckte die Achseln. »Deiner aber auch nicht, oder?«
Abwehrend verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Wie meinst du das?«
Victoria steckte die Kappe wieder auf den Lippenstift und machte sich daran, ihn in der passgenauen Schaumstoffaushöhlung der Aktenmappe zu verstauen. »Ach komm schon, erzähl mir nicht, du hättest dir nicht schon den Kopf zerbrochen über die Zwickmühle, in der du mal wieder sitzt. Diese Graziella, die Fassadenkletterin – wenn sie nicht noch mehr als das ist –, wird wissen, dass du den Aktenkoffer geöffnet hast.«
»Könnte sein.«
»Ist so. Natürlich weiß sie es – eine dicke fette Bombe ist in der Innenstadt von Venedig detoniert. Und sie weiß, wo du wohnst.«
Ich schluckte. Das hatte ich mir zwar auch alles schon gesagt, aber dass Victoria meine geheimen Befürchtungen nun laut aussprach, machte die Sache noch viel schlimmer.
»Ich halte es nur für wahrscheinlich«, fuhr Victoria fort, »dass sie dir einen Besuch abstatten wird. Und diesmal könnte sie etwas weitaus Schlimmeres anstellen, als dir ein Buch zu klauen.«
»Meinst du, sie könnte mir drohen?«
»Ich meine, sie könnte dich umbringen.«
Ich wurde leichenblass. Mal was anderes als das ständige schamhafte Erröten.
»Na ja, zumindest würde sie es versuchen«, entgegnete Victoria und tätschelte mir durch die Bettdecke das Knie. »Aber dank mir kannst du dich ja jetzt verteidigen. Hier.« Und damit zog sie den Elektroschocker aus ihrer tragbaren Waffenkammer. Der war kaum größer als ein Elektrorasierer und hatte eine Kappe, die sich zurückklappen ließ und dann zwei Metallzähne entblößte. »Man legt diesen Schalter um«, erklärte sie und schob dabei mit dem Daumen einen Entsicherungsriegel zur Seite, »und dann drückt man auf den Knopf. Und, hey, presto!« Blaue Funken sprühten zwischen den rotglühenden Metallzacken an der Vorderseite des kleinen Geräts. Victoria grinste in dem schaurigen Schein von einem Ohr zum anderen. »Fünftausend Volt. Dürfte einen schnell außer Gefecht setzen. Willst du ’s mal probieren?«
»Nein, danke, vielleicht ein andermal«, erwiderte ich und hob abwehrend die Hand. »Und jetzt hör auf, mit dem Ding rumzufuchteln, ja?«
»Spielverderber.« Sie ließ den Knopf los, und das Zischen verglühte zu nichts und hinterließ nur den Geruch nach verbrannter Kohle im Raum. Sie warf mir das Gerät zu. »Steck dir das unters Kissen.«
Die Kunststoffhülle war kuschelig warm, und mir behagte der Gedanke nicht unbedingt, dieses Ding ausgerechnet dorthin zu verstecken, wo ich später meinen müden Kopf zur Ruhe zu betten gedachte, aber Victoria war offensichtlich nicht in der Stimmung, ein Nein hinzunehmen. Sie blieb stehen und schaute mich an, bis ich den Apparat sicher unter meinem Kopfkissen verstaut hatte, und dann nickte sie zufrieden, als sei es das Normalste der Welt.
»Das war noch nicht alles«, verkündete sie stolz.
»Das hatte ich schon befürchtet.«
»Blödsinn. Ich nehme an, du weißt, was das ist.«
Womit sie vollkommen richtig lag – das kleine vakuumverpackte Gerät, das sie aus der Tasche ihres Morgenmantels fischte, war mir wohlbekannt. Es war
Weitere Kostenlose Bücher