Schwarze Schafe in Venedig
beruhigender war die Tatsache, dass man kein Heulen, Jaulen oder Schreien hörte und auch sonst keinerlei Hinweise darauf, dass sie sich gezwungen gesehen hatte, unserem Besucher eine Chemikalienladung ins Gesicht zu pusten.
Nur Momente später näherten sich Schritte. Ich krümmte den Finger um den Abzug des Tasers, drückte leicht zu und zielte mit dem roten Punkt auf die Rückseite meiner Schlafzimmertür. Der Türknauf drehte sich, die Tür ging auf, und Victoria streckte den Kopf durch den entstandenen Spalt herein, um gleich darauf entsetzt zurückzuweichen, als der Laserstrahl sie mitten ins Auge traf. Wütend funkelte sie mich an, und ich zog entschuldigend den Kopf ein und ließ augenblicklich die Waffe sinken.
»Charlie«, säuselte sie mit allerhöflichster Gesellschaftsstimme, »deine Vermieter sind hier. Sie wollten sich nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«
Dann zeigte Victoria noch nachdrücklich mit anklagend erhobenem Zeigefinger auf ihre Waffentasche. Schnell schob ich sie zusammen mit dem Taser unter das Bettlaken.
»Ähm, okay«, murmelte ich und zupfte die Decke zurecht.
» Ciao , Charlie«, trompetete Antea in fröhlichem Singsang irgendwo unsichtbar hinter Victorias Schulter verborgen. »Wir machen uns bloß ein bisschen Sorgen um Sie.«
»Mir geht es gut«, entgegnete ich, noch immer mit heiser-kratziger Reibeisenstimme. »Aber kommen Sie ruhig rein.«
Victoria kam herein, gefolgt von Antea und Martin, und ich musste beschämt zusehen, wie Antea entsetzt den Mund aufriss und über dem ausladenden Busen ein Kreuzzeichen schlug. Sie hatte ein rundliches, pummeliges Gesicht und einen ebenso rundlichen, pummeligen Körper. Ihre bevorzugte Montur, die sie auch an diesem Morgen trug, bestand aus einem von unzähligen tief ausgeschnittenen geblümten Hauskleidern, und das üppige Dekolletee betonte sie wie üblich mit einer klobigen Kette aus farbigem Muranoglas. Mit Make-up hatte sie auch heute nicht gegeizt, und ihre rabenschwarzen Haare waren wie immer zu einem festen Knoten hochgesteckt. Mit ihrer flatterhaften, gefühligen Art war sie das genaue Gegenteil ihres Mannes.
»Die Mistkerle haben Sie aber ordentlich in die Mangel genommen«, stellte Martin fest. »Lassen Sie mich mal sehen.«
Er trat ans Bett und ließ seine altmodische Arzttasche schwungvoll auf das Fußende des Bettes plumpsen, gleich neben dem versteckten Taser. Er nahm ein paar Einmalhandschuhe heraus, die er sich rasch überstreifte, und ließ den Gummi gegen die Handgelenke flitschen. Gut zu wissen, dass er einen Handschuhvorrat im Haus hatte – könnte vielleicht mal sehr gelegen kommen.
Martin trug eine braune Kordhose und einen pflaumenfarbenen Pullover mit V-Ausschnitt über einem schlichten weißen Hemd, das am Kragen leicht vergilbt war. Er war klapperdürr und hatte dichtes silbergraues Haar, das er zu einem schräg fallenden, fransigen Pony nach vorne kämmte. Der Pony war Martins ganzer Stolz. Dauernd strich er ihn glatt oder schnippte ihn mit einer neckischen Handbewegung nach hinten. Als praktischer Arzt hatte er sich zwar längst zur Ruhe gesetzt, aber das Praktizieren schien er einfach nicht sein lassen zu können.
Vorsichtig legte er die Hände um meinen Kopf und betastete mit Fingern und Daumen meinen Schädel. Ich konnte den Gummi der Handschuhe riechen und den männlich-herben Geruch seiner behaarten Unterarme.
»Das mit dem Überfall habe ich schon erklärt«, meinte Victoria und setzte mich so endlich ins Bild über die Geschichte, die sie sich aus den Fingern gesaugt hatte.
»Wir haben Sie gehört gestern Abend.« Antea wrang aufgewühlt die Hände. »Und wir haben Sie reden gehört von der polizia .« Worauf sie nach Luft schnappte und sich mit einer Hand an die Wange schlug. »Ich sage zu Martin, er soll schauen nach Ihnen, aber er hat gesagt, wir müssen warten bis zum Morgen.«
»Keine Brüche«, erklärte Martin, als sei eine Schwester im Zimmer, die seine Diagnose mitschrieb. »Ich habe gehört, Sie haben einen Schlag gegen den Kopf abbekommen.«
Ich schaute Victoria in die Augen. Die nickte kaum merklich.
»Ich glaube schon.«
»Keinerlei Anzeichen eines ernsten Traumas. Was ist mit den Schnitten an Ihren Armen?« Er hob meine Gliedmaßen zur näheren Begutachtung an und rümpfte dann die Nase, als sei selbst ihm der Anblick zu viel.
»Die haben mich gegen eine Wand gestoßen. Ich habe mich mit den Armen geschützt.«
»Hmm. Das verheilt.« Er ließ meine Handgelenke fallen
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