Schwarze Schafe in Venedig
wehte, aber die Tatsache, dass es sich anfühlte, als seien winzig kleine Trümmerpartikel hinter meine Augäpfel gewandert und arbeiteten sich nun langsam wieder nach vorne, machte es nicht gerade besser. Ich spürte, wie klitzekleine Teilchen von was weiß ich in meinen Augenhöhlen herumschwammen, und es war wirklich kein besonders angenehmes Gefühl.
»Ach Charlie, das hat dich ganz schön mitgenommen, was?«
Mit verschleiertem Blick stierte ich Victoria an, die mich mit einem mitfühlenden Lächeln bedachte. Sie schlang einen Arm um meine Taille und zog mich zu sich heran, dann lehnte sie den Kopf an meine Schulter. Und ja, ich mochte zwar nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Betrüger sein, aber irgendwie tat das sehr gut. Und ich hatte ja tatsächlich Schlimmes durchgemacht. Und da mein Wintermantel nach dem unfreiwilligen Bad gestern Abend noch zum Trocknen aufgehängt war, fror ich in meinem Rollkragenpulli und dem dünnen Sakko, die ich übergezogen hatte, wie ein Schneider.
Victoria machte es ein bisschen besser. Sie war warm und tröstlich und roch ganz wunderbar. Viel besser jedenfalls als der schwitzige Mief, den der Koch verströmte, der in hautengem T-Shirt und karierter Hose hinter uns stand, während sein dicker Ranzen in der kühlen Luft förmlich dampfte.
Also rückte ich noch ein bisschen näher heran, legte den Arm um Victoria und erwiderte ihre Umarmung. Eine kleine Weile standen wir so da und hielten uns in den Armen, während mir die Krokodilstränen übers Gesicht liefen. Dann kam mir ein Gedanke, der mir schon früher hätte kommen sollen.
»Hey«, meinte ich, »als du mir gestern Abend, ähm, geholfen hast, mich auszuziehen – da hast du nicht zufälligerweise ein Handy gefunden?«
»Doch, habe ich.«
»Na, so ein Glück«, meinte ich. »Auf dem Telefon hat Graziella mich nämlich immer angerufen.«
»Tja, das war einmal.« Victoria zog eine Grimasse. »Ich habe versucht, es einzuschalten, aber es hat keinen Mucks von sich gegeben. Also habe ich es auseinandergenommen, alles mit einem Handtuch abgewischt und es dann zum Trocknen auf die Heizung gelegt. Leider erfolglos.«
»Dreck.«
»Du sagst es.«
Ich ließ die Schultern hängen. »Womöglich hat sie schon versucht mich anzurufen.«
»Gut möglich.«
»Und ich kann sie nicht anrufen, weil ihre Nummer im Handy war.« Aber kaum hatte ich das ausgesprochen, kam mir auch schon eine neue Idee. »Warte mal«, sagte ich, »kannst du die SIM-Karte nicht in dein Handy stecken?«
»Habe ich schon versucht. Das Ding ist mausetot.«
»Dreck.«
»Du sagst es.«
Victoria drückte mich noch einmal und löste sich dann leicht schuddernd von mir. Womit unsere Umarmung wohl offiziell vorbei war.
»Meinst du wirklich, Graziella hatte vor, diesen Grafen Borelli mit der Kofferbombe umzubringen?«, fragte sie mich.
Worauf ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den unregelmäßigen Riss in der Hausfassade, die Gerölllawine und den arg ramponierten Balkon richtete. »Muss wohl so gewesen sein«, murmelte ich.
»Nicht unbedingt. Es hätte doch auch sein können, dass sie bloß die Sachen in dem Tresorraum vernichten wollte.«
Nachdenklich strich ich mir über das Kinn. »Aber die Bombe wurde durch das Öffnen des Kofferdeckels aktiviert. Hätte sie bloß seine Wertgegenstände abfackeln wollen, hätte sie sicher einen Fernzünder benutzt. Oder sie hätte mir einfach sagen können, ich soll den Tresor aufmachen und ein kleines Feuerchen legen.«
»Womöglich hat sie befürchtet, du könntest dir das eine oder andere Schätzchen unter den Nagel reißen, ehe du alles abfackelst.«
»Wäre es nach mir gegangen, hätte ich die ganze Schatzkammer mitgehen lassen. Aber sie hat wohl angenommen, die Drohung, mein Buch nicht mehr wiederzusehen, würde mich davon abhalten. Es sei denn ...« Ich legte einen Finger auf die Lippen, während meine Gedanken sich ein wenig die Beine vertraten.
»Ja?«
»Na ja, vielleicht dachte sie, der Graf würde den Koffer anderswo öffnen. Und Bumm! – wenn er erst mal aus dem Weg wäre, könnte sie den Tresor in aller Seelenruhe ausräumen.«
»Und was verrät uns das jetzt über Graziella? Es muss doch mehr dahinterstecken als bloß eine gewöhnliche Einbrecherin, oder? Haben wir es hier mit einer Auftragskillerin zu tun?«
»Könnte sein.« Ich summte leise vor mich hin. »Obwohl das alles irgendwie nicht zusammenpasst. Man würde doch annehmen, dass ein Profikiller seine Aufträge persönlich ausführt. So
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