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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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genauso neugierig bist wie ich, wie der Palazzo jetzt aussieht.«

Sechzehn
     
    Der Palazzo sah nicht gut aus, und Victoria war weit mehr als bloß neugierig – die Fragen sprudelten nur so aus ihr heraus. Eine ganze Reihe davon hatten wir bereits abgehakt, aber offensichtlich gingen sie ihr noch nicht so schnell aus.
    »Und dieses Loch«, meinte sie, »dieses riesige, klaffende, verkohlte Loch, da ist der Tresorraum?«
    »War, sollte man wohl sagen.«
    »Und von dem Balkon bist du heruntergefallen?«
    »Pst«, murmelte ich. »Nicht so laut.«
    Denn wir waren nicht allein. Halb Venedig schien sich um uns versammelt zu haben, am anderen Ufer des Kanals, gegenüber der Verwüstung, die ich unwillentlich angerichtet hatte, auf einem Fleckchen vor dem Restaurant, in dem wir am Abend zuvor gegessen hatten. Die meisten Schaulustigen waren grauhaarige Einheimische, die sich in venezianischem Dialekt unterhielten, heftig gestikulierend und unter jeder Menge Kopfschütteln und Entsetzenslauten – zumindest kam es mir so vor. Auch ein Touristengrüppchen war darunter – die Blitzlichter ihrer Kameras erhellten die geschwärzte, zerfetzte Fassade des Palazzo und tauchten sie immer wieder kurz in gleißend helles Licht. Privatboote dümpelten auf dem grauen, gekräuselten Wasser des Kanals, während ihre Passagiere mit offenem Mund die Zerstörung bestaunten, die dieses Gebäude heimgesucht hatte, das seit Jahrhunderten dastand, ohne im Meer versunken oder eingestürzt zu sein, und nun, wie es schien, auch diese jüngste Katastrophe überstehen würde.
    Die noch unzerstörten Fenster des piano nobile waren von einer ganzen Reihe provisorisch aufgestellter Lichtbögen hell erleuchtet, und hinter den Glasscheiben konnte ich sich bewegende Gestalten ausmachen. Manche trugen hellbraune Regenmäntel – Standardkleidung für Polizisten überall auf der Welt, auch in Venedig. Andere steckten von Kopf bis Fuß in weißen Einmal-Overalls. Das waren die Forensiker. Sollte von dem Aktenkoffer irgendwas übrig geblieben sein, dann konnte ich mich jetzt wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass ich ihn nur mit Handschuhen angefasst hatte. Und obwohl man wohl davon ausgehen musste, dass ich womöglich das eine oder andere Härchen hinterlassen hatte, von dem gelegentlichen Hautschüppchen ganz zu schweigen, war die Annahme doch sicher nicht zu weit hergeholt, dass die Explosion und der darauf folgende Brand ganz Arbeit geleistet und die meisten biologischen Beweismittel restlos vernichtet hatten. Blieben nur noch die Überwachungskameras, und selbst wenn die nicht bei dem Inferno zerstört worden waren, wäre auf den Bändern doch nicht mehr zu sehen als jener maskierte Eindringling, den die Augenzeugen bereits zur Genüge beschrieben hatten.
    Womöglich hätte mich dieser Gedanke beruhigen sollen, aber um ganz ehrlich zu sein, war ich nicht gerade stolz auf die Verheerungen, die ich angerichtet, und die Unannehmlichkeiten, die ich den Anwohnern ringsum bereitet hatte.
    Victoria pfiff durch die Zähne und raunte mir dann aus dem Mundwinkel zu: »Charlie, der Balkon ist mindestens fünf Meter hoch. Du hattest verdammtes Glück.«
    »Vom Balkon zu fallen war eine meiner leichtesten Übungen«, flüsterte ich zurück. »Der Teil mit der Bombe war ein bisschen heikel.«
    »War es sehr laut?«
    »Na ja, zumindest so laut, dass mir fast das Trommelfell geplatzt wäre.«
    Victoria knuffte mich mit der Hüfte in die Seite und grinste mich schief an. »Der Punkt geht an dich.« Und damit drehte sie sich abermals um und bestaunte den Palazzo mit nachdenklich verzogener Miene. »Könnten womöglich noch andere verletzt worden sein?«
    Auf die Frage legte ich die Stirn in tiefe Falten. Bisher hatte ich es tunlichst vermieden, darüber nachzudenken. »Ich glaube nicht«, entgegnete ich gedehnt. »Der Tresorraum war stahlverstärkt und hat die Explosion eingedämmt, sonst würde ich jetzt nicht hier stehen. Gut möglich, dass es auch außerhalb des Tresorraums zu Schäden an dem Gebäude gekommen ist – und es könnte natürlich sein, dass einer der Angestellten sich gerade dort aufhielt. Aber ich nehme an, Martin und Antea hätten es erwähnt, wenn es Verletzte gegeben hätte, denn das hätte man sicher in den Nachrichten gehört.«
    »Hoffentlich hast du Recht.«
    »Das hoffe ich auch.«
    Während wir uns unterhielten, hatten meine Augen angefangen zu tränen. Zum Teil lag das wohl an der Brise, die steif über das aufgewühlte Wasser des Kanals

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