Schwarze Schafe in Venedig
einen Job gibt man doch nicht an irgendeinen dahergelaufenen Dieb weiter, der ihn womöglich gründlich vermasselt. Und sie kam mir so ... ich weiß nicht, so gehetzt vor, als ich sie gesehen habe. Als sei sie in eine ziemlich große Sache verwickelt, auf die sie gar keinen Einfluss mehr hat.«
»Aber sie hatte die Bombe, Charlie. Wenn wir davon ausgehen, dass sie das Ding selbst gebastelt hat ...«
»Womit du dich echt weit aus dem Fenster lehnst.«
Schmollend schob sie die Unterlippe vor. »Und wenn schon, es muss schon mehr dahinterstecken, als wir zunächst dachten, oder?«
»Kann sein.«
»Es ist so. Hör zu, Charlie, ich glaube wirklich, wir sollten ...«
» Pscht« , zischte ich.
»Wie bitte?«
Ich beugte mich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr. »Dreh dich jetzt nicht um, aber da hinten steht ein Mann, der unser Gespräch sehr interessiert verfolgt.«
Tatsächlich stand da einer, der uns aufmerksam beobachtete. Ich beobachtete ihn schon seit ein paar Minuten aus den Augenwinkeln und bemerkte, wie er sich langsam immer näher an uns heranschob. Womöglich wäre ich schon allein wegen seines ziemlich auffälligen Verhaltens auf der Hut gewesen, aber hauptsächlich sträubten sich mir alle Nackenhaare, weil ich den Kerl schon mal gesehen hatte. Und obwohl wir bei dieser Gelegenheit nicht bei einer guten Flasche Grappa ein langes, vertrauliches Gespräch geführt hatten, war er nicht der Typ, den man so leicht wieder vergaß.
Der schwere Kamelhaarmantel schlackerte um die breiten Schultern und fiel wie ein Tipi bis auf die glänzenden schwarzen Schuhe mit den flauschigen weißen Sportsocken, und der Fedora saß bedenklich schief auf den schwarzen Locken, wobei die zerzauste Feder, die im Hutband steckte, aussah, als hätte er sie einer der gerupften Tauben am San Marco gemopst. Der verfilzte Bart und sein unsteter Gang verliehen ihm irgendwie die Aura eines abgewrackten Rabbiners, und auch wenn ihm diesmal keine halb verwilderte Katze um die Beine strich, sah er ansonsten haargenau so aus wie beim ersten Mal, als ich ihn in der Tür des Restaurants in der Calle dei Fabbri gesehen hatte, kurz bevor ich in den Buchladen eingestiegen war.
Victoria riss beunruhigt die Augen auf, und ich sah auf den ersten Blick, dass sie sich beherrschen musste, um nicht auf dem Absatz herumzuwirbeln und sich suchend umzuschauen. »Ein Lauscher an der Wand?«, fragte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Könnte man so sagen«, entgegnete ich. »Komm schon, verschwinden wir.«
Siebzehn
An der Hand führte ich Victoria durch die Menschenmenge und zerrte sie hinter mir her, bis wir aus der Masse der Schaulustigen heraus waren und vor dem Eingang eines Restaurants standen. Ein Kellner in schnieker schwarzer Hose und roter Jacke lehnte lässig gegen die Wand, und in seiner Hand glimmte eine glühende Zigarette. Die ließ er auf der Stelle fallen und drückte sie mit der Schuhspitze aus.
»Für zwei, Signore , für zwei?«
Worauf ich nur stumm den Kopf schüttelte und mich dann umdrehte. Der Mann im Kamelhaarmantel schubste die Gaffer rücksichtslos beiseite und walzte hinter uns her. Sein Hinkebein schien ihn nach links herunterzuziehen, wie ein überladener Frachter, der Schlagseite nach Backbord hatte.
»Nicht stehen bleiben«, sagte ich zu Victoria und schleifte sie unerbittlich weiter hinter mir her zum Campo San Giacomo.
Die beleuchteten Bars und Trattorien rings um den Platz füllten sich allmählich. Junge Leute standen draußen, Getränk und Zigarette in der Hand. Manche führten kleine Hunde an der Leine – Dackel und Terrier und winzige Schoßhündchen, allesamt mit todschicken Wintermäntelchen oder Strickpullis bekleidet. Schnell dirigierte ich Victoria in Richtung Rialtobrücke.
Eine gebückte Gestalt mit Warnweste streute Tausalz auf die Treppenstufen am Fuß der Brücke. Ich schlug einen Bogen um den Mann und klammerte mich mit der einen Hand an die steinerne Balustrade, während ich mit der anderen Victoria festhielt. Dann reckte ich mich auf die Zehenspitzen, um über die Verkaufsstände mit Schmuck und Handtaschen, durch die wir im Zickzackkurs geflohen waren, nach unserem Verfolger Ausschau zu halten.
Ein befiederter Fedora wippte an der grünen Segeltuchmarkise eines Touristenrestaurants vorbei. Halbherzig funkelte eine Lichterkette an einem Ständer mit Speisekarte, auf der Bilder der erhältlichen Gerichte abgebildet waren. Ohne die Speisenauswahl auch nur eines Blickes zu würdigen,
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