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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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heimzuzahlen.
    Ich hatte also, alles in allem, genügend Gründe, um ins Grübeln zu geraten. Und eigentlich bedauerte ich es auch nicht, mit den Gedanken woanders zu sein. Warum? Nun ja, das war immer noch besser, als mir den Kopf über Victoria zu zerbrechen.
    Momentan war sie im Schlafzimmer, gleich auf der anderen Seite des Flurs – vielleicht las sie das Manuskript, vielleicht schlief sie auch schon tief und fest. Vorhin hatten wir gemeinsam die beiden Alarmsensoren installiert, einen im Flur, einen im Wohnzimmer, und dann hatte ich mich vergewissert, dass sie Pfefferspray und Taser in Reichweite hatte, um ihr schließlich eine gute Nacht zu wünschen und mich in mein Schlafzimmer zu verkrümeln. Ich hatte ihr angeboten, ihr ein Zimmer im Hotel American gleich um die Ecke zu besorgen, aber sie hatte sich standhaft geweigert, meine Wohnung zu verlassen, und so hatte ich nichts weiter tun können, als für ihre größtmögliche Sicherheit zu sorgen, ohne dafür selbst auf dem Fußboden vor ihrem Bett nächtigen zu müssen. Was ich unter anderen Umständen sicher mit dem größten Vergnügen getan hätte. Vermutlich wäre es das Ritterlichste gewesen, ihr das anzubieten, und ich sage Ihnen geradeheraus, hätte ich diese Szene geschrieben, mein Held Michael Faulks hätte darauf bestanden. Wobei Faulks’ Libido auch ganz gern mal mit ihm durchgeht, und ich bezweifele nicht, dass er am Ende die Frau verführt hätte, die er eigentlich beschützen sollte.
    Wobei ich keinesfalls andeuten möchte, dass ich bei Victoria ähnliche Ambitionen hatte. Um ehrlich zu sein, allein die Vorstellung machte mir eine Heidenangst. Aber ganz gleich, wie sehr ich auch versuchte, dieses Bild aus meinem Kopf zu verdrängen, es ließ sich doch nicht leugnen, dass in dieser dunklen Gasse etwas zwischen uns gewesen war (und damit meine ich nicht bloß Spucke).
    Der Kuss war das Problem. Es war idiotisch gewesen, mich dazu hinreißen zu lassen, und im Nachhinein frage ich mich, ob ein Spritzer aus Victorias Pfefferspraydose nicht wesentlich weniger Schaden angerichtet hätte. Ich war völlig verunsichert, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, und die Tatsache, dass Victoria meinem Blick den ganzen Abend ausgewichen und um neun ins Bett gegangen war, ließ mich annehmen, dass sie genauso durcheinander war wie ich.
    Ja, sie war meine Agentin, aber sie war auch meine Vertraute und die engste und beste Freundin, die ich hatte. Vor die Wahl gestellt würde ich mich lieber mit hundert Briefbombenkoffern im Tresorraum des Palazzo einschließen als unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Aber da ich ein hirnamputierter Schwachkopf war, der blind spontanen Eingebungen folgte, war es gut möglich, dass es dazu längst zu spät war.
    Hören Sie, ich will nicht so tun, als wäre mir nie aufgefallen, wie attraktiv Victoria war. Sie war schlank, aber nicht dünn, sondern eher kurvenreich. Sie war klug und witzig und mir in beinahe jeder erdenklichen Hinsicht haushoch überlegen. Wir mochten dieselben Dinge, teilten gemeinsame Leidenschaften, und es ließ sich nicht leugnen, dass wir im Laufe der Jahre immer scherzhaft miteinander geflirtet hatten. Aber der Kuss hatte alles verändert, er hatte uns auf eine ganz neue Ebene katapultiert – so schwindelerregend hoch, dass ich mich fast wunderte, kein Nasenbluten zu bekommen.
    Bildete ich mir das bloß ein, oder hatte sie meinen Kuss wirklich erwidert? Bedeutete das, dass sie sich das immer schon heimlich gewünscht hatte, oder hatte sie mir bloß die Peinlichkeit ersparen wollen? War sie genauso hin und her gerissen wie ich, oder war die Sache für sie ganz klar? War sie womöglich sauer?
    Fragen. Viel zu viele davon schwirrten mir im Kopf herum, und die wenigsten waren mir willkommen. Victoria hatte gesagt, wir sollten die ganze leidige Geschichte einfach aus unserem Gedächtnis streichen, und ich wünschte inständig, das wäre so einfach. Ja, hätte sich in diesem Augenblick ein kleiner Flaschengeist am Fußende meines Bettes materialisiert und hätte mir gesagt, ich habe drei Wünsche frei, dann hätte ich mir als Allererstes gewünscht, die Zeit zurückzudrehen, um das alles ungeschehen zu machen. Ach, und falls Sie sich fragen, was die beiden anderen Wünsche gewesen wären – nichts leichter als das. Als Zweites hätte ich mir mein Buch zurückgewünscht. Und als Drittes? Tja, da hätte ich mir gewünscht, die Nacht ruhig durchzuschlafen, ohne davon geweckt zu werden, dass sich

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