Schwarze Schafe in Venedig
gewonnen.
»Und wieso sind Sie davon ausgegangen, dass ich nicht zur Polizei gehe?«, wollte ich wissen. »Hatten Sie von Anfang an vor, zurückzukommen und mich abzuknallen?«
Verständnislos verzog sie das Gesicht. Ich wusste nicht recht, ob ich meinen Augen trauen sollte, aber sie schien wirklich perplex. Und irgendwie betrübt. »Dich abknallen?«, murmelte sie, als schmecke sie die Wörter auf der Zunge. »Aber das will ich doch gar nicht.«
»Nein? Und wie würden Sie das dann erklären?« Mit dem Kinn wies ich auf ihre Pistole.
»Ach«, meinte sie, als hätten wir endlich die widerspenstige Sprachbarriere überwunden. »Aber die ist doch für dich, ja?«
»Wie bitte?«
»Wenn ich weg bin.« Sie nickte. »Ich lasse sie dir da.«
»Warum? Erwarten Sie, dass ich mich selbst erschieße?« Es stimmte zwar, dass ich mir etwas dumm vorkam wegen des Schlamassels im Haus des Grafen Borelli, aber ich glaubte, damit durchaus leben zu können.
»Dummkopf. Damit du ihn umbringen kannst.«
Meine Augen wurden groß und rund, und meine Haut fing an zu kribbeln. Mir wurde ungewöhnlich heiß. Wobei ich da allein auf weiter Flur zu sein schien, denn Graziella wirkte nach wie vor eiskalt und ungerührt.
»Wen meinen Sie mit ihn? «, erkundigte ich mich, obwohl ich es eigentlich gar nicht wissen wollte.
»Den Grafen.«
Meine Stimme wurde plötzlich ganz schwach. »Und warum sollte ich das tun?«
Darauf schlich sich ein Lächeln in ihr Gesicht, zunächst fast schüchtern. »Zum einen wäre da dein Buch. Und zum anderen«, sagte sie, wobei sie nun von einem Ohr zum anderen grinste und ihre perfekten Zähne unter den unschuldigen Augen aufblitzten, »ist da ja auch noch deine kleine Freundin. Die gleich gegenüber im Bett liegt, ja? Wenn du es nicht machst ... tja.«
»Tja?«, stammelte ich und schluckte schwer.
Hilflos zuckte sie die Achseln, hob dann die Pistole an die Schläfe und tat, als drücke sie ab. »Peng«, sagte sie und breitete dann die Hand auf der anderen Seite des Kopfs aus, als schieße ihr gerade das Hirn aus dem Schädel. Dabei fiel ihr etwas aus der Hand. Ein luftig-leichtes bräunliches Etwas schwebte wie eine Feder auf meine Bettdecke. Irritiert schaute ich es an. Es war ein Haarbüschel. Nussbraun und von einigen blonden Strähnchen durchzogen. Sah Victorias Haarfarbe zum Verwechseln ähnlich.
Junge, Junge. Ich war also wohl nicht der Einzige, der einen etwas zu gesunden Schlaf hatte. Sah ganz danach aus, als hätte Victoria ihren unfreiwilligen Friseurtermin verschlafen.
Langsam beschlich mich der unschöne Verdacht, Graziella könne womöglich ein bisschen gaga sein. Was ich nicht nur daran festmachte, wie leichtfertig sie, nur um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, eine geladene Waffe gegen sich selbst richtete, sondern auch daran, wie sie einfach in die Häuser fremder Menschen einstieg, um ihnen die Haare zu schneiden oder zu verlangen, dass sie in ihrem Auftrag jemanden umbrachten. Ich war mir ziemlich sicher, dass dieses Verhalten nicht normal war. Obwohl ich zugeben muss, dass die Normalität allmählich zu einer vagen Erinnerung verblasste – die letzten Tage waren alles andere als normal gewesen, und ich hatte das eigenartige Gefühl, dass sich daran so bald nichts ändern würde.
»Lassen Sie Victoria da raus«, sagte ich und wies auf die Haare. Verzeihen Sie mir den abgedroschenen Satz. Für Originalität war keine Zeit – ich musste mein Anliegen deutlich zum Ausdruck bringen.
»Das wird gar nicht nötig sein«, erklärte Graziella und klang dabei, als löse sie eine kinderleichte Rechenaufgabe, »wenn du ihn umbringst.«
»Um ganz ehrlich zu sein, das würde ich lieber nicht tun.« Ein paar Muskeln um ihre Augen zuckten, als habe sie leichte Schmerzen, und plötzlich hörte ich mich erläutern, weshalb es mir widerstrebte, einen vorsätzlichen Mord zu begehen. »Hören Sie, ich habe in meinem Leben schon so einige krumme Dinger gedreht, das stimmt. Früher war ich Einbrecher, wie Sie wissen, und ich war ziemlich gut, auch wenn Eigenlob stinkt. Aber ich bin kein Auftragskiller. Ich bin es nicht gewohnt, Leute umzulegen. So was mache ich einfach nicht.«
Mir schien das eine logisch nachvollziehbare Argumentationskette, aber Graziellas konsternierter Reaktion nach zu urteilen, ergab mein Gebrabbel überhaupt keinen Sinn. Nervös rutschte sie auf dem Bett herum und kratzte sich mit den Fingernägeln den Nacken. Es war nicht zu übersehen, wie frustriert sie angesichts meiner
Weitere Kostenlose Bücher